Globalisierung der Probleme und Nationalisierung der Politik
Krisen häufen sich. Sie werden gleichzeitig globaler und existentieller: Klimawandel, Kriege, Pandemien etc.; diese Krisen können nur durch internationale Kooperation gelöst werden. Aber die Strukturen hierfür sind schwach. Während sich in den letzten Jahrzehnten die Wirtschaft, Finanzen und Kommunikation schnell globalisierten, ist es nicht gelungen, regionale und multilaterale Institutionen entsprechend anzupassen. Mehr noch, viele Länder versuchten seit langem diese Institutionen systematisch zu schwächen. Bei auftretenden Problemen zeigten Politiker*innen schnell auf die vermeintlich aufgeblähte Bürokratie der Europäischen Union (EU) und die ineffizienten Vereinten Nationen (VN). Brüssel und New York waren beliebte Sündenböcke, deren Legitimität systematisch untergraben wurde. Dies war fatal. Zwar sind internationale Institutionen tatsächlich reformbedürftig. Die populistische Kritik war jedoch nicht konstruktiv; sie zielte darauf ab, diese zu schwächen – in einer Zeit, wo eine Stärkung notwendig gewesen wäre.
Diese Entwicklung hatte schwerwiegende Folgen. Im Ergebnis wurden nicht nur internationale Foren, sondern auch nationale Regierungen delegitimiert. Weil die Klimakrise, Migration oder auch der Zusammenbruch von Lieferketten national nicht zu lösen sind, erschienen nationale Regierungen ohnmächtig und inkompetent. Die Politikverdrossenheit stieg und ebnete den Weg für professionelle Populist*innen. Dadurch ergibt sich ein Teufelskreis. Die notwendige Stärkung multilateraler Strukturen wird jetzt noch schwieriger, weil immer mehr nationale-populistische Regierungen die Lösungsfindung in multilateralen Foren verhindern. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass die USA das angeschlagene multilaterale System in seiner vollen Breite massiv torpedieren wird.
Wege aus dem Teufelskreis
Es wird immer wieder betont: Populismus kann nur gestoppt werden, wenn Menschen den Eindruck haben, dass die Politik die Probleme wirklich löst. Die Entwicklungspolitik, ein Politikfeld, das zunehmend unter z.T. populistischen Beschuss steht, kann genutzt werden, um die aktuellen Probleme nachhaltig anzugehen. Allerdings muss sie dafür grundlegend reformiert werden. Es geht vor allem um drei Punkte:
Erstens müssen Entwicklungsbeiträge strategisch zu größeren, transformativen Programmen zusammengefügt werden. Dabei sollten systematisch politik-basierte Finanzierungen zur Unterstützung von Politikreformen der Partnerländer eingesetzt werden.
Ein Beispiel hierfür sind die „Joint Energy Partnerships“ (JET-Ps), die Schlüsselgeber (darunter Deutschland) mit einigen Partnerländern aufgebaut haben. Dabei kommt Multilateralen Institutionen, wie den Multilateralen Entwicklungsbanken, sowie auch der EU eine wichtige orchestrierende Rolle zu.
Zweitens geht es darum, dass der Privatsektor bei der Ausgestaltung der Entwicklungszusammenarbeit stärker mitgedacht und systematisch integriert wird. Der Ruf nach mehr Privatwirtschaftsförderung ist nicht neu. Allerdings ist der bisherige Ansatz gescheitert, der stark auf die Förderung einzelner Investitionen fokussierte. Stattdessen sollte stärkeres Gewicht darauf gelegt werden, das Umfeld für private Investitionen zu verbessern und so „Märkte zu schaffen“. Erforderlich hierfür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren.
Drittens muss die Entwicklungspolitik einen Beitrag leisten, um grenzüberschreitende Herausforderungen zu lösen. Klimawandel, der Verlust von Biodiversität sowie Pandemien sind eng verbunden mit klassischen Entwicklungsproblemen, wie weitverbreitete Armut, Arbeitslosigkeit und schlechter Gesundheitsversorgung. Die Entwicklungspolitik kann und muss in diesem Schnittfeld gezielt eingesetzt werden – insbesondere bezüglich erneuerbarer Energien, der Transformation der Transportsektoren, der klimafreundlichen Landwirtschaft sowie der Vorsorge gegenüber der Ausbreitung übertragbarer Krankheiten und der Konfliktprävention.
Dieser letzte Punkt hängt sehr zentral mit der Frage zusammen, ob Geberländer mit ihrer Entwicklungspolitik „nur helfen“, oder vielmehr auch eigene Interessen verfolgen sollten. Die Antwort ist: Verfolgung eigener Interessen ja, aber dies sollte mit den Interessen des Partners in Einklang gebracht werden. Das ist der Fall, wenn Maßnahmen auch zur Lösung globaler Probleme beitragen. Problematisch ist jedoch, wenn nationale Interessen borniert und kurzfristig definiert werden, wie z.B. in Form von Lieferinteressen und der Rückführung von Migrant*innen. Dies wäre kontraproduktiv für die Ziele und Glaubwürdigkeit von Entwicklungspolitik. Eine Zusammenarbeit, die (auch) auf die Lösung globaler Probleme gerichtet ist, entspricht einer Partnerschaft, in der beide Seiten ihre Interessen einbringen.
Beispiel Weltbank-Reform
Die letzte Bundesregierung hat vor 3 Jahren eine Reform der Weltbank initiiert. Dies ist ein gutes Beispiel, das zeigt, was Regierungen tun können, um die Entwicklungspolitik im oben beschriebenen Sinne neu auszurichten:
- Das Ziel der Bank wurde erweitert. Sie soll künftig Umweltziele integrieren und eine stärkere Rolle bei der Bewältigung von globalen Herausforderungen und der Bereitstellung von globalen öffentlichen Gütern spielen.
- Dafür soll ein Anreizsystem etabliert werden, das zusätzliche Mittel, längere Kreditlaufzeiten oder günstigere Konditionen für Aktivitäten bereitstellt, die mit positiven externen Effekten verbunden sind. Dazu zählen z.B. Klimaschutzmaßnahmen, die zwar dem Empfängerland selbst nützen, aber gleichzeitig auch globale und regionale Probleme adressieren.
- Für das erweiterte Mandat der Weltbank sollen zusätzliche Mittel generiert werden; zum einen durch eine bessere Nutzung des Weltbank-Kapitals und zum anderen durch zusätzliche Beiträge der Anteilseigner. Dafür wurden neue Instrumente entwickelt (wie z.B. Portfoliogarantien, Hybridkapital sowie eine verstärkte Form von Haftungskapital, sog. ‚enhanced callable capital‘), die es erlauben Geberbeiträge maximal zu hebeln. So können mit einem Dollar Hybridkapital ca. 6 Dollar zusätzlich ausgeliehen werden.
Die Reformen sind zwischenzeitlich weit fortgeschritten. Problematisch bleibt, dass zusätzliche Geberbeiträge bisher weitgehend ausblieben. Es wäre wünschenswert, dass die G20 sich auf ein konkretes Ziel hinsichtlich der Finanzierung der zusätzlichen, auf die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter bezogene Aufgaben der Multilateralen Entwicklungsbanken einigt. Davon abgesehen stellt sich die Frage, wie sich die neue US-Administration positionieren wird. Hierzu gibt es viele Spekulationen, bis hin zu dem Szenario eines US-Austritts aus der Weltbank. Zumindest wird die US-Regierung wahrscheinlich versuchen, das Rad wieder zurückzudrehen, d.h. die Weltbank auf ihr vermeintliches Kernmandat zu stutzen und sie für eng definierte US-Interessen einzusetzen, und sei es für den Aufbau eines Ferienparadieses im Gaza-Streifen.
Wie in vielen anderen Bereichen der internationalen Zusammenarbeit stellt sich die Frage, wie die anderen Länder, insbesondere Europa darauf reagieren sollte. Dazu folgende Punkte:
- Die USA haben aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts ein enormes Drohpotential und sind relativ wenig von anderen Ländern abhängig, insbesondere aufgrund ihrer relativ niedrigen außenwirtschaftliche Verflechtung, ihrer technologischen Stärke und ihrer geographischen Lage.
- Trumps „The Art to Make a Deal” bedeutet, die Partner mit Maximalforderungen zu konfrontieren. Wenn diese dann auf halben Weg auf ihn zugehen, hat er bereits gewonnen.
- Kleine Partner haben aber kaum Möglichkeiten, dem etwas entgegenzusetzen; sie haben kein Drohpotential. Dies gilt abgeschwächt auch für Mittelmächte. Deshalb müssen sich Länder zusammenzuschließen, um ihr Drohpotential zu erhöhen.
- Für Deutschland und die EU bedeutet das, innerhalb der EU die Ränge zu schließen und aktiv andere Partnerschaften aufzubauen. Dabei geht es nicht nur um Partner mit ähnlichen Grundwerten, sondern auch um pragmatische Interessensgemeinschaften.
Die Europäer sollten in der Weltbank die europäische Koordinierung stärken und gezielt Partnerschaften mit anderen Ländern aufbauen. Dabei sollte auch in Betracht gezogen werden, die europäischen Sitze zu zusammenzulegen. Die EU-Länder haben in der Weltbank zusammen ein Stimmengewicht von etwa 30 Prozent (gegenüber ca. 16 Prozent der USA). Eine solche Konsolidierung der Sitze würde den Einfluss Europas stärken und es sogar erlauben, den Hauptsitz der Weltbank von Washington nach Europa zu verlegen. Dies heißt nicht, Gesprächskanäle mit der US-Administration zu verschließen; ganz im Gegenteil. Aber Erpresser lassen sich selten durch Unterwerfung beschwichtigen. Vielmehr werden sie dadurch in ihren Dominanzstrategien bestätigt und ermuntert nachzulegen.
Regierungsbildung in Deutschland – mehr deutsche ‚Leadership‘
Länder wie die USA und Großbritannien fahren ihr Engagement im Bereich der Entwicklungspolitik drastisch zurück. Sie beschneiden sich dadurch eines wichtigen Instruments, um ihre eigenen Interessen in Form von „Soft Power“ zur Geltung zu bringen. Hierzulande setzen sich sowohl CDU/CSU als auch die SPD in den laufenden Koalitionsverhandlungen dafür ein, dass Deutschland international mehr Verantwortung und ‚Leadership‘ übernimmt. Die Ereignisse der letzten Wochen lassen auch kaum mehr eine andere Wahl. Die Entwicklungspolitik muss in diesem Sinne reformiert werden. Dabei sollten die folgenden neun Elemente im Vordergrund stehen.
- Eine Reform und Stärkung des Politikfeldes. Die Finanzierung des Politikfeldes könnte kurzfristig durch Zugriff auf die beiden neuen Sondervermögen (für Verteidigung und Infrastruktur) sichergestellt werden. Der verschiedentlich vorgebrachte Vorschlag, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in das Auswärtige Amt oder ein anderes Ministerium zu integrieren, birgt große Risiken und müsste deshalb gründlich geprüft werden. Klar ist, dass ein solches Unterfangen zeitraubend wäre, kostbare Energie binden würde und auch wertvolle Expertise verloren ginge – und das in einer Zeit, in der Deutschland handlungsfähig sein muss.
- Aufbau neuer Partnerschaften auch mit Ländern, mit denen wir nicht alle Grundwerte teilen, jedoch gemeinsame Interessen verfolgen können, wie z.B. Indien, Indonesien, Brasilien, Südafrika und andere afrikanische Länder sowie auch China. Für den Aufbau neuer Partnerschaften sollten die multilateralen Institutionen genutzt werden.
- Anerkennung, dass Entwicklungspolitik auch Interessenpolitik ist. Interessen sollten jedoch langfristig definiert werden. Dabei stehen globale öffentliche Güter wie Klimaschutz und gesellschaftliche Stabilität (Entwicklung als Teil eines umfassenden Sicherheitskonzeptes) im Mittelpunkt.
- Übergang von kleinteiligen Projekten zu transformativen, geber-koordinierten und in Partnerstrukturen integrierten Programmen. Politik-basierte Kredite sollten öfter und systematisch eingesetzt werden. Große Teile des Portfolios sollten schrittweise in umfassende, geberabgestimmte und partner-integrierte Programme überführt werden, die sowohl Komponenten finanzieller- und technischer Zusammenarbeit beinhalten (siehe JET-P).
- Ausbau der Privatsektorförderung durch einen umfassenden, auf die Schaffung von Märkten ausgerichteten Ansatz. Die Subventionierung einzelner Investitionen und Unternehmen (auch deutscher Unternehmen) sollten möglichst nicht isoliert erfolgen, sondern durch Politikreformen (z.B. des regulativen Rahmens und der Fiskalpolitik) und komplementäre öffentliche Investitionen begleitet werden. Politikreformen sind bei der Förderung von klimafreundlichen Investitionen in Energie, Transport und Landwirtschaft besonders wichtig.
- Stärkung der politischen bzw. ministeriellen Steuerung. Die starre, auf Länderquoten ausgerichtete Programmierung der Entwicklungszusammenarbeit sollte flexibler ausgerichtet werden. Anstatt kleinteiliger Vorgaben und Kontrolle geht es um Zielvorgaben, Anreize und einer effizienten Erfolgskontrolle. Gleichzeitig muss die ministerielle Ebene Expertise aufbauen, um den politischen Dialog mit den Partnerregierungen, vor allem zu fachlichen, thematischen Fragen kompetent zu führen.
- Reform der technischen Zusammenarbeit. Das Durchführungsmonopol der GIZ sollte eingeschränkt und damit mehr Wettbewerb durch andere Anbieter, inklusive der multilateralen Organisationen, ermöglicht werden. Hierfür sollte geprüft werden, den Titel für technische Zusammenarbeit im Hinblick auf instrumentenoffene Wettbewerbselemente zu öffnen oder den Titel zugunsten einer rein thematischen Allokation ganz abzuschaffen.
- Ausbau des deutschen Engagements in multilateralen Organisationen und in der EU. In diesem Zusammenhang sollte geprüft werden, die europäischen Sitze in der Weltbank und den Regionalen Entwicklungsbanken zu konsolidieren.
- Zusammenführung der humanitären Hilfe mit der langfristigen Unterstützung von Entwicklungsanstrengungen in einem Ressort. Die deutsche humanitäre Hilfe ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Die Zuständigkeit für diese Hilfe ist jedoch seit einiger Zeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMZ aufgeteilt. Dies schafft Friktionen. Außerdem gibt es einen Konsens, dass humanitäre Hilfe wo immer möglich so ausgestaltet werden sollte, dass sie mit langfristigen Entwicklungsanstrengungen ineinandergreift, was eine enge Zusammenarbeit noch wichtiger macht.