Vom 9. bis 11. Juni 2020 war das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) Mitveranstalter des Internationalen SDG-Forschungssymposiums „Globale Ziele 2020“, das virtuell von der Universität Utrecht ausgerichtet wurde. Mehrere Wissenschaftler*innen des DIE trugen zu Sessions zu ihrem jeweiligen Forschungsgebiet teil. In einer Plenarsitzung, die am zweiten Tag der Konferenz eröffnet wurde, hielt Imme Scholz, stellevertretende Direktorin des DIE, eine Keynote zum Thema ,,Implementing the 2030 Agenda: On the Road to Socio-ecological Transformation or Remaining in the Niche?“. In ihrer Rede reflektierte sie die Wirksamkeit nationaler Nachhaltigkeitsstrategien als Instrument zur Umsetzung der SDGs, auch basierend auf ihren Erfahrungen im Rat für nachhaltige Entwicklung seit 2013. Angesichts der Größe der ökologischen Fußabdrücke in wohlhabenden Gesellschaften und des Wachstums in Ländern mit mittlerem Einkommen ist der Bedarf an wirksamen Strategien groß und nicht zufriedenstellend. Während viele Entwicklungsländer ihre nationalen Entwicklungspläne rasch an die SDGs anpassten, waren die reichen Länder langsamer. Deutschland und andere europäische Länder griffen auf die Anpassung ihrer alten Nachhaltigkeitsstrategien zurück, die nach dem Rio-Gipfel 1992 eingeführt worden waren und oft in einer Nische überlebt hatten. Im Vergleich zu 2002, als viele Nachhaltigkeitsstrategien verabschiedet wurden, weisen die nach 2015 reformierten Strategien neue Merkmale auf: stärkere Betonung nichtstaatlicher Maßnahmen und schüchterne Bemühungen, über Silos hinauszugehen und wesentliche Veränderungen zu erreichen. Die Nische wird gesehen, und die Nachhaltigkeitsgemeinschaft bemüht sich, sie zu überwinden. Es bestehen jedoch weiterhin Anreize für Inkohärenz, da die Abteilungen um Budgets und politische Aufmerksamkeit kämpfen und die öffentlichen Verwaltungen sich davor scheuen, ihre Arbeitsweise zu reformieren. Wesentliche Veränderungen sind eher durch soziale Mobilisierung und Änderungen des Wahlverhaltens als durch aufgeklärte öffentliche Verwaltungen zu erwarten, wie die Ereignisse im Zusammenhang mit den Europawahlen im vergangenen Jahr in Deutschland gezeigt haben (also ist demokratische politische Ordnung wirklich wichtig). In diesem Zusammenhang bleiben Nachhaltigkeitsstrategien wichtig, um eine langfristige politische Orientierung an den Prioritäten des Wandels zu ermöglichen und um gesellschaftliche und politische Debatten darüber zu führen. Auf dem Panel „Planetary Integrity: Protecting the Climate“ präsentierte Clara Brandi eine gemeinsame Arbeit mit Phoossarapha Thongjumrool (Universität Duisburg-Essen) zu „Synergies between the Paris Agreement and the 2030 Agenda in China and Mexico.” Ihre Analyse der politischen Kohärenz zwischen nationalen Klimaplänen (NDCs) und nationalen Entwicklungsplänen (NDPs) zeigt, dass es in China erheblich mehr Überschneidungen gibt als in Mexiko. Dies wiederum deutet auf eine größere politische Kohärenz bei ersteren und damit auf ein größeres Potenzial zur Nutzung von Synergien hin. Der laufende Prozess der NDC-Aktualisierungen bietet vielversprechende Möglichkeiten für zukünftige Untersuchungen zur Kohärenz zwischen dem Pariser Abkommen und den SDGs.
Okka Lou Mathis präsentierte im Panel „Planetary integrity: Resilience, nature-based solutions and the SDGs“ eine Konzeptualisierung nationaler politischer Nachhaltigkeitsinstitutionen wie Räte oder Komitees für nachhaltige Entwicklung. Sie diskutierte zudem, welche Entwurfsbedingungen notwendig seien, um Nachhaltigkeits- und Klimaprobleme in politischen Entscheidungen stärker zu berücksichtigen. Vorläufige Ergebnisse aus der Analyse eines globalen Datensatzes zu nationalen Nachhaltigkeitsinstitutionen (im Aufbau) zeigen, dass sich mehr als die Hälfte der bisher identifizierten Fälle im globalen Norden befindet. Wie erwartet, scheint die Umsetzung solcher politischer Gremien mit den großen UN-Nachhaltigkeitskonferenzen verbunden zu sein, die mit dem Erdgipfel von Rio 1992 begannen. Insbesondere die Verabschiedung der Agenda 2030 im Jahr 2015 löste eine weltweite Zunahme der Ankündigung und Planung nationaler Nachhaltigkeitsinstitutionen aus, obwohl noch nicht alle umgesetzt sind. Rund drei Viertel der identifizierten Institutionen richten ihre Arbeit eindeutig auf die Agenden der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung aus.
Anita Breuer und Programmleiterin Julia Leininger präsentierten auf dem Panel „Integration and Interlinkages: Integration and Coherence“ in Zusammenarbeit mit Jale Tosun (Universität Heidelberg) eine Studie zum Thema „Integrated policymaking: A comparative analysis of institutional designs for implementing the SDGs“. Ihre vergleichende Analyse der SDG-Governance-Mechanismen in 92 Ländern zeigt, dass die Regierungen die Agenda 2030 nachdrücklich unterstützen, wobei sich die Institutionen zur Überwachung des SDG-Umsetzungsprozesses in den meisten Ländern auf der höchsten Führungsebene befinden. Sie finden jedoch auch eine dominierende Rolle der Ministerien für Umwelt und Außenpolitik in den SDG-Governance-Mechanismen. Dies wiederum deutet darauf hin, dass die Agenda 2030 in vielen Ländern trotz ihres viel breiteren Anwendungsbereichs und ihres Anspruchs auf Universalität weiterhin hauptsächlich als ökologische und entwicklungspolitische Agenda wahrgenommen wird.
Gabriela Iacobuta präsentierte in einem separaten Panel der Reihe „Integration and Interlinkages: Integration and Coherence“ eine gemeinsame Arbeit mit Clara Brandi, Adis Dzebo (Stockholmer Umweltinstitut, Schweden) und Sofia Elizalde Duron (Mora Institut, Mexiko) zur Kohärenz zwischen klimarelevanter Entwicklungsfinanzierung und Klimaschutzaktivitäten in den national festgelegten Beiträgen der Empfängerländer. Durch die Betrachtung beide Variablen durch eine SDG-Linse stellten sie fest, dass eine signifikante Korrelation zwischen klimarelevanten Finanzierungen zwischen 2010 und 2018 und zugesagten Klimaschutzaktivitäten besteht. Während klimarelevante Finanzmittel überproportional für den Klimaschutz eingesetzt wurden, haben die Empfängerländer mehr Anpassungsmaßnahmen vorgeschlagen.
Ines Dombrowsky und Ramona Hägele präsentierten in einem Panel der Reihe „Integration and Interlinkages: Interlinkages among SDGs“ eine Studie im Rahmen des diesjährigen DIE-Postgraduierten-Programms zur „Natural resource governance in light of the 2030 Agenda. The case of competition for groundwater in Azraq, Jordan“. Die Studie bewertet die Gesamtleistung des untersuchten sozial-ökologischen Systems, nämlich die Grundwassernutzung in Azraq, anhand der Agenda 2030, d.h. anhand der für die Fallstudie (SDGs) 2, 6, 8 und 15 relevanten Ziele für nachhaltige Entwicklung im Gegensatz zu den Kernprinzipien der Agenda 2030: „Niemanden zurücklassen“, „Vernetzung und Unteilbarkeit“, „Multi-Akteur-Partnerschaften“ und „Gleichberechtigte Teilhabe“. Es finden sich starke Kompromisse zwischen den jeweiligen SDGs und es zeigt sich, dass die Grundprinzipien bei weitem nicht erfüllt werden. Stattdessen ist der Fall durch eine starke Ungleichheit zwischen Mächtigen und Machtlosen sowie eine relativ schwache sektorübergreifende und ebenenübergreifende Koordinierung bei gleichzeitig schwacher Bürgerbeteiligung gekennzeichnet. Die Ergebnisse veranschaulichen die Notwendigkeit ganzheitlicher Perspektiven, um eine Reihe von Interventionspunkten zu identifizieren, um eine Transformation in Richtung Nachhaltigkeit voranzutreiben.