Neue Allianzen zur Umsetzung der SDGs: Gewerkschaften als Akteure und Partner einer sozial-ökologischen Transformation

Image: Equal Pay Day: Kundgebung

„Shrinking space der Gewerkschaften“

Entwicklungszusammenarbeit zielt immer auf Veränderung. Sie dynamisiert und verändert bestehende Machtverhältnisse, gesellschaftliche Ordnungen und soziale Beziehungen. Dabei gibt es in der Regel Verteilungsprobleme, Interessenvielfalt und Interessengegensätze, Gewinner und Verlierer. Dieser Prozess erfordert Unter­stützung bei der Suche nach tragfähigen Lösungen, die den jeweiligen politischen, historischen, kulturellen sowie ökonomischen Bedingungen angepasst sind und von den Beteiligten akzeptiert werden.

 

Dies gilt auch für eine Entwicklungspolitik, die sich der Erreichung der SDGs (Sustainable Development Goals) verpflichtet. Dafür müssen neben Regierungen und staatlichen Stellen entwicklungsorientierte progressive Akteure identifiziert werden, die sich sowohl in der Vorbereitung als auch an der Umsetzung tragfähiger politischer Reformprogramme beteiligen. Ein wichtiger Partner und Akteur für eine gelingende sozial-ökologische Transformation sind dabei die internationale Gewerkschaftsbewegung und ihre Organisationen. Dafür müssen allerdings ihre Rechte – Stichwort shrinking space – von den Geberregierungen verteidigt und deren Einschränkungen entschieden entgegengetreten werden.

  1. Die Ansätze der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zielen inhaltlich wie auch in ihrem politischen Veränderungsanspruch nicht nur weit über die „klassische“ Entwicklungspolitik hinaus. Die Stärke (und das Risiko) der Transformationsagenda liegt auch darin begründet, dass sie auf soziale Mobilisierung setzen muss und es verschiedensten Akteuren ermöglicht, ihre politische Praxis in den Nachhaltigkeitszielen zu begründen. Die anstehende Transformation wird kein technisch-bürokratisches Projekt sein können, sondern in erster Linie in politischen und sozialen Auseinandersetzungen entschieden werden. Denn der Großteil der in der Agenda 2030 formulierten substanziellen Alternativen richtet sich gegen gewachsene Ordnungssysteme mit entsprechend mächtigen Interessen – sei es mit Blick auf eine globale Energietransformation, die Reduzierung von Ungleichheit oder die Durchsetzung von guter Arbeit weltweit.
  2. Die zentrale Herausforderung vieler Transformationsprozesse in den kommenden Jahrzehnten besteht darin, wie die soziale Frage mit ökologischer Nachhaltigkeit verbunden werden kann. Die Kernelemente eines neuen Wohlstandsverständnisses berühren vor diesem Hintergrund Fragen von Produktionsmustern, Wirtschaftsdemokratie und Reproduktionsarbeit, der Neubewertung und Umverteilung von Arbeit, von Lebens- und Konsumstilen, Verteilung und Umverteilung sowie von demokratischer und politischer Partizipation. Gewerkschaften können in vielen dieser Bereiche eine entscheidende Rolle spielen.
  3. Lange Zeit galten Gewerkschaften weithin als strukturkonservativ und die ökologische Wende blockierend. Auch heute ist das Thema für Gewerkschaften ambivalent, die nicht zuletzt in vielen Ländern ihre Bastionen in emissionsintensiven Industrien haben, in denen laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 38% aller Beschäftigten tätig sind. Dennoch hat sich in den letzten Jahren in einer Reihe von Organisationen ein neues Bewusstsein dafür entwickelt, wie soziale Entwicklung und ökologische Fragen besser miteinander verzahnt werden können. Inzwischen gibt es viele gewerkschaftspolitische Ansätze, die die simple Gegenüberstellung „Jobs oder Umwelt“ aufzulösen versuchen: Von den Bündnissen zwischen „Teamsters und Turtles“ über das Engagement des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) bei den Klimaverhandlungen bis hin zu zahlreichen lokalen Initiativen für die Schaffung von „climate jobs“. „There are no jobs on a dead planet“, so das Motto des IGB. Standen die Gewerkschaften der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls 1997 noch skeptisch gegenüber, forcieren manche nun – allen voran die internationalen Dachorganisationen – die Debatte: Wie kann die Bekämpfung des Klimawandels genutzt wurden, um die Prinzipien menschenwürdiger Arbeit – sichere und gut bezahlte Arbeit, sozialer Schutz, Achtung der Arbeitnehmerrechte sowie sozialer Dialog – neu und besser zu verankern?
  4. Mit der Idee der gerechten Übergänge (just transition) gibt es ein Konzept, das nicht nur einen gemeinsamen Horizont für die Gewerkschaften in den nächsten Jahren abbildet, sondern auch Anknüpfungspunkte für breitere Bündnisse bietet. Das Konzept der „just transition“, das von kanadischen Gewerkschaftern Ende der 1990er Jahre zum ersten Mal skizziert wurde und Eingang in das Pariser Klimaabkommen fand, geht von der einfachen Frage aus, wer für den ökologischen Umbau bezahlt und für die Kosten für die unvermeidlichen negativen Beschäftigungseffekte in einigen Branchen aufzukommen hat. Ziel aller Maßnahmen muss sein, Emissionen zu reduzieren, Ungleichheit und Armut abzubauen und gute Arbeit zu schaffen. In konkreten, zumeist lokalen Transformationsprozessen bestehen dabei jedoch erhebliche Zielkonflikte: Arbeitsplätze in den fossilen Industrien sind klimaschädlich und nicht zukunftsfest, sie sichern aber für viele Menschen ein Auskommen im Hier und Heute. Gerechte Übergänge müssen deshalb beides gewährleisten: Arbeitsplatzsicherung nur in den Sektoren, die den Umbau zu emissionsarmen Ökonomien unterstützen und greifbare und direkte Hilfe für alle konkret vom Strukturwandel Betroffenen. Dies umfasst die frühzeitige Bewertung von sozialen und beschäftigungsrelevanten Folgen von Transformationsprozessen ebenso wie Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, den Ausbau von sozialen Sicherungssystemen sowie demokratische Partizipationsmöglichkeiten.
  5. Weltweit stehen Gewerkschaften vor der Herausforderung, ihre Rolle in der Nachhaltigkeitstransformation neu zu definieren: Wie lassen sich Interessenverband und gesellschaftspolitischer Gestaltungsanspruch miteinander verbinden? Wie können Gewerkschaften sich institutionell einbinden, ohne dass dies auf Kosten der strategischen Autonomie und der Beziehungen mit anderen sozialen Akteuren geht?
  6. Gewerkschaften müssen hierfür die Herausforderung als Ganzes in den Blick nehmen, aber auch die konkreten und akuten Lebensumstände vor Ort mit ihren Härten und Widrigkeiten. Zentral wird auch sein, ob es den Gewerkschaften gelingt, die neuen Sektoren, z.B. in der Energiewirtschaft zu organisieren und in den Regionen, wo die überwiegende Mehrheit informell beschäftigt ist, eine solidarische Interessenvertretungspolitik für alle zu etablieren. Es gilt darüber hinaus die Berührungsängste zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung weiter abzubauen und Gewerkschaften in staatliche „Transformationsinstitutionen“ mit einzubeziehen. Schließlich sind Unternehmen zentrale Orte der Transformation. Die Voraussetzung für starke Gewerkschaften ist dabei, dass ihre Rechte nicht beschnitten und ihre Repräsentanten, wie in vielen Ländern, nicht eingeschüchtert, verfolgt oder bedroht werden. Gewerkschaften sind bei der Formulierung und Umsetzung tragfähiger sozialökologischer Politikansätze im Sinne der Nachhaltigkeitsagenda und des Pariser Klimaabkommens, aber auch als Gegengewicht zu den in den letzten Jahren verstärkt auf Privatinvestitionen setzenden entwicklungspolitischen Ansätzen unverzichtbare Akteure.
  7. In Regierungsverhandlungen und Geberrunden gehört dementsprechend konsequent auch die Frage der Gewerkschaftsfreiheit, denn Gewerkschaftsrechte sind Menschenrechte. Und in der Vorbereitung von entwicklungspolitischen Programmen und internationalen Konferenzen zu Governancefragen sollten regelmäßig neben zivilgesellschaftlichen Akteuren auch Vertreter der regionalen und globalen Gewerkschaftsstrukturen als Inputgeber einbezogen werden.
Image: Christiane Kesper

Christiane Kesper ist Leiterin des Abteilung Internationale Entwicklungszusammenarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung.

1 comment

  1. Martin Schön-Chanishvili - Antworten

    Ein Text, der Hoffnung macht. Mir scheint, heute sind leider viele deutsche Gewerkschaften noch stark in der Dichotomie „Umweltschutz – Arbeitsplätze“ verwurzelt. Oder sie priorisieren die Frage einer sozial-ökologischen Transformation einfach nicht. Vielleicht verbessert sich das ja um Kontext der internationalen Gewerkschaftsbewegung.

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