Konnte sich Entwicklungspolitik bisher nur in Ausnahmefällen rühmen, auf Bürgerbeteiligung besonderen Wert zu legen, so sieht die unmittelbare Zukunft noch weniger erfreulich aus: weltweit werden die Partizipationsrechte der Bürgerinnen und Bürger beschnitten und ihnen Möglichkeiten genommen, an der Entwicklung ihrer Gesellschaften mitzuwirken.
In seinem State of Civil Society Report berichtet das international Netzwerk CIVICUS, dass im Jahr 2014 in mindestens 96 Ländern Bürgerrechte ernsthaft bedroht waren. Nur etwa jeder siebte Mensch konnte Grundrechte wie Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit uneingeschränkt in Anspruch nehmen. Der kürzlich gestartete Monitor verzeichnet aktuelle Bedrohungen der bürgerlichen Freiheiten und vermittelt anhand einer Weltkarte einen Überblick über den Stand der Bürgerrechte. Das Bild ist deprimierend: nur einige wenige europäische Staaten – darunter Deutschland – gewähren ihren Bürgerinnen und Bürgern angemessene Beteiligungsrechte. In fast allen anderen Staaten sind die Bürgerrechte in unterschiedlichem Maße eingeschränkt oder ganz außer Kraft gesetzt. Aktuelle Berichte aus den verschiedenen Ländern vermitteln das Bild einer dramatischen weltweiten Krise der Bürgerbeteiligung.
SDGs und Bürgerbeteiligung
Noch vor wenigen Jahren sah das Bild ganz anders aus: in wohltuendem Kontrast zu den ausschließlich von Experten festgelegten Millenniumsentwicklungszielen wurden die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) unter weltweit breiter Bürgerbeteiligung festgelegt und verkündet. Mit ihren ehrgeizigen Ambitionen und der Forderung, “leave no one behind“, also gerade die Armen und Benachteiligten besonders einzubeziehen, verweigern sich die SDGs einer technokratischen Umsetzung. Wir können sie nur erreichen, wenn es uns gelingt, Bürgerinnen und Bürger weltweit davon zu begeistern und zur Mitwirkung an der Zielerreichung zu bewegen. Genau das Gegenteil müssen wir aber gerade beobachten: Die Mehrzahl der Regierungen weltweit beschneidet Bürgerrechte und verhindert Partizipation, anstatt sie zu fördern.
Was kann Entwicklungspolitik hiergegen tun? Die Antwort ist so schlicht wie anspruchsvoll: Sie muss ihre eigene Emanzipation energisch weiter vorantreiben. Das heißt, Entwicklungspolitik muss endlich ihre von Kolonialismus und Wohltätigkeit geprägte Vergangenheit überwinden und paternalistisches durch partnerschaftliches Vorgehen ersetzen. Bis heute haben die sogenannten Empfänger der Hilfe kaum ein Mitspracherecht. Fast ausnahmslos bestimmen die Geber, was die zu lösenden Probleme sind und wie sie gelöst werden sollen – und dies gilt sowohl für die staatliche Entwicklungszusammenarbeit als auch für die private. Wenn wir Armutsbekämpfung und Gerechtigkeit wirklich ernst meinen, müssen wir Bürgerbeteiligung fördern, statt sie zu behindern. Wir müssen insbesondere die Beteiligung armer und marginalisierter Menschen fördern, und zwar so, dass ihre Beteiligung nicht ein weiterer Akt unserer Wohltätigkeit ist, sondern ein Ergebnis ihres eigenen Empowerment.
Handlungsmöglichkeiten
Wie geht das?
- Das geht zum Beispiel, indem wir Entwicklungshilfe grundsätzlich nur noch an Vorhaben vergeben, die eine umfassende Beteiligung der Betroffenen bzw. Begünstigten in allen Stadien der Planung, Durchführung und Evaluierung sicherstellen.
- Das geht zum Beispiel, indem wir geberunabhängige Bewertungsinstrumente schaffen, die es den Empfängern von Hilfe ermöglichen, die Art der Hilfe zu bestimmen, die sie benötigen und die Qualität der Hilfe zu bewerten, die sie erhalten haben. Solche Instrumente können zum Beispiel Besitzer einfacher Mobiltelefone in die Lage versetzen, per SMS oder Voicemail die Qualität der Schule oder der Krankenstation zu bewerten, die ihnen wohlmeinende Hilfe zur Verfügung gestellt hat.
- Das geht zum Beispiel auch, indem wir staatliche Hilfe konsequent nur noch an solche Regierungen vergeben, die Bürgerbeteiligung an der Entwicklung ihrer Gesellschaft sicherstellen.
Um den weltweiten Kampf von Menschen um Mitsprache auf eine gemeinsame Basis zu stellen und so internationale Solidarität zu unterstützen, hat das International Civil Society Centre im vergangenen Jahr einen globalen Konsultationsprozess moderiert, der zu einer Civic Charter – The Global Framework for People’s Participation geführt hat. Die Charter beschreibt in allgemeinverständlichen Worten, die in UN-Konventionen und internationalem Recht verankerten Rechte bürgerlicher Beteiligung. Eine glaubwürdige künftige Entwicklungspolitik wird die Einhaltung dieser Rechte von allen Partnern einfordern und die Zusammenarbeit überall dort beenden, wo diese Rechte nicht gewährt werden.
Nur wenn alle Bürgerinnen und Bürger die Entwicklung ihrer Gesellschaft in die eigenen Hände nehmen, ist eine gerechte und nachhaltige Entwicklung möglich. Bürgerbeteiligung ist Entwicklungshilfe; und Entwicklungshilfe ohne Bürgerbeteiligung ist keine Hilfe zur gesellschaftlichen Entwicklung – vielmehr zementiert sie nur allzu häufig Unrechtsregimes. Viele westliche Regierungen beginnen dies zu verstehen, machen Bürgerbeteiligung zum Ziel von Entwicklungspolitik und suchen den Dialog mit der Zivilgesellschaft, um gemeinsam Partizipation zu fördern. BMZ, GIZ und KfW sollten sich diesen Bemühungen anschließen: gerade als eines der wenigen Länder, in denen Bürgerbeteiligung nicht massiv behindert wird, ist Deutschland in seiner Entwicklungspolitik gefordert, sich deutlicher zur Bürgerbeteiligung zu bekennen und Partizipation mit dem entwicklungspolitischen Instrumentarium aktiv zu fördern.