Die EU-Migrationspolitik kann nicht nur aus „Fluchtursachenbekämpfung“ bestehen

Image: Nauru Refugee Camp

Kein europäisches Nauru

Eine Verhinderung von Migration ist keine Migrationspolitik. Während Europa jedoch vor allem über die Bekämpfung der Migration reden möchte, wird dem Wunsch vieler Partnerländer nach der Schaffung von mehr legalen Migrationsmöglichkeiten kaum Rechnung getragen. Auch der Ende 2014 veröffentlichte ehrgeizige Zehnpunkteplan der EU-Kommission weist kaum Fortschritte bei einem gemeinsamen Asylsystem und einer neuen Migrationspolitik auf. Das muss sich ändern.

Ein ehrgeiziger Plan

Als die EU-Kommission unter ihrem neu gewählten Präsidenten Jean-Claude Juncker Ende 2014 ihre Arbeit aufnahm, setzte sie sich die Umsetzung eines ehrgeizigen Zehnpunkteplans zum Ziel. Dieser Plan beinhaltet auch den Bereich Migrationspolitik, für welchen vier zentrale Zielsetzungen festgelegt wurden:

  1. Verringerung der Anreize für irreguläre Migration;
  2. Rettung von Menschenleben und Sicherung der Außengrenzen;
  3. ein starkes gemeinsames Asylsystem;
  4. eine neue Migrationspolitik.

Zwei Jahre später ist recht offenkundig, dass die EU sich vor allem auf die ersten beiden Zielsetzungen konzentriert und ihr kaum Fortschritte bei den Punkten gemeinsames Asylsystem und neue Migrationspolitik gelungen sind. Das muss sich ändern.

Eine fortwährende Schließung der Balkanroute sollte nicht das Ziel sein

In den letzten beiden Jahren lag der Schwerpunkt der europäischen Anstrengungen im Bereich Flucht und Migration vor allem bei Versuchen, die in dieser Zeit stetig anwachsenden Flüchtlingszahlen zu reduzieren. Der im März dieses Jahres ausgehandelte „Flüchtlingsdeal“ zwischen der Türkei und der EU gilt gemeinhin als wichtigste und effektivste Maßnahme in diesem Zusammenhang. Dabei ist der starke Rückgang der Flüchtlingszahlen in Mittel- und Westeuropa seit der zweiten Jahreshälfte 2015 vor allem eine Folge der Schließung der sogenannten Balkanroute und des Unwillens der anderen EU-Staaten, in Griechenland, Italien und Ungarn gestrandete Flüchtlinge aufzunehmen.

Die schon in 2015 mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossene Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen aus diesen Ländern regte sich von Anfang erheblicher Widerstand. Bis heute wird diese Umverteilung auch nur äußerst schleppend umgesetzt. Die Gefahr, dass sich weite Teile Griechenlands schon bald in Anlehnung an das wegen seiner katastrophalen Lebensbedingungen berühmt gewordene australische Flüchtlingsaußenlager in ein „Europäisches Nauru“ verwandeln könnte, ist leider realistisch. Ein Vergleich mit der australischen Migrationspolitik ist aber sicher das letzte, was sich Europa wünschen sollte.

Der „EU Emergency Trust Fund for Africa“: Eine Sackgasse?

Auch der „Gesamtansatz für Migration und Mobilität“ (GAMM) oder „EU Emergency Trust Fund for Africa“ (EUTF) unterstreichen, dass die EU in diesem Bereich an erster Stelle eine Reduzierung (zukünftiger) Migration und die Rückführung bereits in Europa lebender irregulärer Migranten anstrebt. Eine wirklich neue Migrationspolitik wird nicht etabliert. Der GAMM, der bereits in 2005 als eine Art Gesamtrahmen der europäischen Migrations- und Asylpolitik etabliert wurde, besteht vor allem aus migrationspolitischen Dialogprozessen, die die EU mit Nachbarregionen betreibt (wie zum Beispiel dem Rabat-Prozess mit West-Afrika). Während die Europäer vor allem über die Bekämpfung der – aus ihrer Sicht – irregulären Migration reden wollen, wird dem Wunsch vieler Partnerländer nach der Schaffung von mehr legalen Migrationsmöglichkeiten kaum Rechnung getragen.

Das gleiche gilt für die sogenannten Migrationspartnerschaften, die mittlerweile mit verschiedenen Ländern wie Georgien, Marokko oder den Kapverden abgeschlossen wurden. Die Wortbestandteile „Migration“ und „Partnerschaft“ sind dabei durchaus irreführend. Denn es geht auch bei den Migrationspartnerschaften in erster Linie um eine Bekämpfung der irregulären Migration und die Rückführung irregulärer Migranten. Und nicht zuletzt auch der vor einem Jahr im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels in Valletta beschlossene und etwa zwei Milliarden Euro schwere EUTF hat das explizite Ziel, die Ursachen irregulärer Migration und Flucht zu bekämpfen.

Die Migrationspolitik wird 2017 weiterhin ein Diskussionsthema bleiben

Gewiss, die Stimmung in vielen westlichen Gesellschaften hat sich in den letzten Jahren stark gegen Migranten sowie Zuwanderung allgemein gewandt. Der Aufstieg von populistischen Parteien im gesamten Westen hat maßgeblich von dieser Stimmungslage profitiert. Nicht zuletzt auch die Brexit-Entscheidung oder der Wahlsieg Donald Trumps in den USA zeigen, wie sehr sich zurzeit Wähler mit Stimmungsmache gegen mehr Zuwanderung mobilisieren lassen können. Auch in 2017 wird das Thema eine zentrale Rolle in den politischen Diskussionen auf dem europäischen Kontinent einnehmen, nicht zuletzt auch im deutschen Bundestagswahlkampf.

Die Europäische Union sollte sich den Herausforderungen mutig stellen

Nichtsdestotrotz wird Europa nicht daran vorbeikommen, eine Migrationspolitik zu gestalten, die diesen Namen auch verdient hat und sich mutig den Problemen der Zukunft stellt. Und dies muss eine Migrationspolitik sein, die Kriterien entwirft, wer zuwandern darf und die diesen Prozess dann auch aktiv gestaltet. Eine Verhinderung von Migration ist keine Migrationspolitik. Eine aktive politische Ausgestaltung von Migration muss es schaffen, den legitimen Interessen der Zuwanderer selbst und auch den Bedürfnissen der Herkunftsländer gerecht zu werden. Wenn dies geschieht, dann können die positiven Effekte etwa in Form von Rücküberweisungen für afrikanische Länder einen nicht unerheblichen entwicklungspolitischen Beitrag darstellen. Aber gerade auch die Europäische Union braucht Zuwanderung, um den Probleme entgegenzutreten, die sich aufgrund einer stets älter werdenden Bevölkerung langfristig als immer akuter herausstellen (Stichwort: Sozialkassen). Zwar ist Migration hier sicherlich kein Allheilmittel, ein wichtiger Beitrag wäre sie aber allemal.

Image: Benjamin Schraven

Benjamin Schraven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung "Umweltpolitik und Ressourcenmanagement" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Foto: Niels Keijzer

Niels Keijzer is Social Scientist and Senior Researcher of the Research Programme “Inter- and transnational cooperation with the Global South” at the German Institute of Development an Sustainability (IDOS).

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