Gute Grundlage, aber mit Defiziten und Lücken – eine Bewertung der neuen deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

Image: Bagger im Sonnenschein

Das Fundament muss ausgebaut werden

Wird, was lange währt, nun endlich gut? Diese Frage stellt sich bei der Betrachtung der neuen deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS), die die Bundesregierung am 11. Januar 2017 nach mehr als einjährigen Beratungen, Konsultationen und Ressortabstimmungen verabschiedet hat. Meine Antwortet lautet: „Teils – Teils“.

 

 

Die Neufassung der Strategie ist die umfassendste Weiterentwicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, seit diese erstmalig im Jahr 2002 beschlossen wurde. Zivilgesellschaftliche Verbände und Akteure haben sich im Laufe der Beratungen aktiv mit ihren Vorschlägen und Forderungen an die neue Strategie eingebracht. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an das nun von der Bundesregierung vereinbarte Ergebnis. Sind sie erfüllt worden? Auch hier heißt es aus meiner Sicht wieder: „Teils – Teils“.

Mit der neuen Strategie bekennt sich die Bundesregierung zur Agenda 2030 als übergreifende politische Leitlinie. Die Struktur der Strategie orientiert sich klar an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG). Was aber die Inhalte und Ziele betrifft, so bleibt sie weit hinter den SDG zurück.

Neue Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie

So ist es zwar zu begrüßen, dass zahlreiche neue und zum Teil recht anspruchsvolle Ziele in die Strategie aufgenommen wurden. Das betrifft zum Beispiel den Abbau von Armut („materielle Deprivation“) und Ungleichheit in Deutschland oder die Bekämpfung der Korruption in Deutschland und im Ausland.  Die Erreichung der Ziele soll künftig an 63 Indikatoren statt wie bisher an 38 gemessen werden. Allerdings beziehen sich nur 10 Indikatoren auf internationale Prozesse. Wichtige Bereiche wie Armut, Ernährung und Gesundheit werden nur mit nationalen Zielen und Indikatoren unterlegt. Die globale Dimension dieser Problemfelder wird zwar im Text beschrieben, aber bei Zielen und Indikatoren nicht erfasst.

Andere Ziele und Indikatoren dagegen erscheinen wenig dazu geeignet, die Umsetzung der SDG in und durch Deutschland voranzubringen bzw. abzubilden. So ist die Anzahl der im Textilbündnis mitarbeitenden Firmen nicht unbedingt ein messbares Kriterium für Fortschritt bei der Schaffung menschenwürdiger Arbeit weltweit. Entwicklungspolitische Projekte, die sich mit der Erfassung, Einsammlung und Vernichtung von Kleinwaffen befassen, sind natürlich zu begrüßen. Aber dies als einziges Ziel und einzigen Indikator im Bereich Frieden und Sicherheit auszuweisen, greift sicher zu kurz. Ein besserer Indikator wäre hier zum Beispiel die jährliche Reduzierung der deutschen Rüstungsexporte in alle Welt. Bei anderen Zielen mangelt es am Ambitionsniveau. So ist nicht nachzuvollziehen, wieso das seit Jahren immer wieder bekräftigte 0,7- Prozent-Ziel jetzt auf das Jahr 2030 verschoben werden soll. Dies sind nur einige Beispiele für den noch vorhandenen erheblichen Bedarf an Nachbesserungen.

Anspruch und Wirklichkeit müssen überprüft werden

Deshalb ist es sehr gut, dass sich bereits im Jahr 2018 die Gelegenheit bietet, die Nachhaltigkeitsstrategie zu überprüfen, die Ziele bzw. Indikatoren nachzuschärfen und zu ergänzen.

Grundsätzlich macht der Bericht deutlich: zwischen dem Anspruch der Erreichung der SDG und der politischen Ausrichtung auf deren Umsetzung klaffen noch erhebliche Lücken. Es trifft eben nicht zu, dass wir in Deutschland nur, wie es in der Zusammenfassung heißt, „an einigen Stellen“ (S. 11) noch weit von einem nachhaltigen Leben, nachhaltigem Wirtschaften und einem nachhaltigeren Umgang mit den natürlichen Ressourcen entfernt sind.

Positiv ist zu vermerken, dass Zielkonflikte in der deutschen Nachhaltigkeitspolitik – wie sie z.B. bei der Auseinandersetzung um den Klimaschutzplan deutlich geworden sind – an verschiedenen Stellen benannt werden. Es fehlen aber Aussagen zu der Frage, wie solche Konflikte künftig ausgetragen und gelöst werden könnten. Das gilt in besonderer Weise für den Kernkonflikt, wie ungebremstes wirtschaftliches Wachstum, zu dem sich auch die Strategie bekennt, in Einklang zu bringen ist mit der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen.

Forum Nachhaltigkeit: Alle gesellschaftlichen Akteure an einem Tisch

Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung der Strategie viele gesellschaftliche Akteure einbeziehen und beteiligen will, die Bundesländer und Kommunen, die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft. Dafür soll ein Forum Nachhaltigkeit beim Bundeskanzleramt eingerichtet werden. Auch bei der Planung und Durchführung der Sitzungen des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung sollen gesellschaftliche Akteure hinzugezogen werden. Ich hoffe, dass diese neuen Formate gesellschaftlicher Partizipation bald in der Praxis umgesetzt werden.

So komme ich zu dem Fazit: die neue deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ist zunächst eine gute Grundlage für einen notwendigen Politikwechsel in Richtung von mehr Nachhaltigkeit. Damit dieses Fundament aber auf Dauer tragfähig ist, müssen weitere stabilisierende Bausteine in Form von konkreten und global ausgerichteten Zielen und Indikatoren hinzugefügt werden. Und der politische Wille, unsere Produktions- und Konsummuster, unsere Handels-, Agrar-, Wirtschafts- und Außenpolitik im Sinne von mehr Nachhaltigkeit wo notwendig zu transformieren, muss weiter entwickelt werden als bisher.

Die Zivilgesellschaft sollte die neue Strategie nutzen, um im Vorfeld der bevorstehenden Bundestagswahl in diesem Sinne aktiv zu werden.

Image: Bernd Bornhorst

Bernd Bornhorst ist Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO)

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