Der russische Angriff auf die Ukraine hat die dramatischen Folgen von Flucht und Vertreibung erneut in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Die grenzüberschreitende Flüchtlingsbewegung aus der Ukraine ist die am schnellsten wachsende seit dem zweiten Weltkrieg – und doch ist sie nur eine von vielen massiven Fluchtkrisen der letzten drei Jahrzehnte.
Vor diesem Hintergrund veranstaltete das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) im Namen des Verbundprojekts „Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer“ (FFVT) am 12.05.2022 einen Parlamentarischen Abend zum Thema „Deutschlands Umgang mit weltweiter Flucht und Vertreibung: Wie weiter mit Resettlement und humanitärer Aufnahme?“, der sich insbesondere dem Fluchtgeschehen aus der Ukraine zuwandte. Der Abend stand unter der Schirmherrschaft des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. h.c. Thomas Sattelberger. Unter den Gästen befanden sich Abgeordnete und Mitarbeiter*innen des Bundestages, Flucht- und migrationspolitische Sprecher*innen der Parteien und Fachbeamt*innen einschlägiger Ressorts.
Kurzvorträge von Wissenschaftler*innen aus dem FFVT-Netzwerk eröffneten die Diskussion. Dr. Franck Düvell (Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Osnabrück) lieferte Hintergrundinformationen zur ukrainischen Gesellschaft und allgemeine Szenarien zu Integrations- und Rückkehrabsichten ukrainischer Geflüchteter in Deutschland und der Europäischen Union. Prof. Dr. Viktoriya Sereda (Institut für Ethnologie an der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine und Imre Kertész Kolleg in Jena) präsentierte erste Umfrageergebnisse zu den Bedürfnissen und Erwartungen dieser Flüchtlingsgruppe. Prof. Dr. Conrad Schetter (Bonn International Centre for Conflict Studies) thematisierte Trends globaler Fluchtdynamiken und betonte unter anderem, dass ein Paradigmenwechsel hin zu einer Diskussion der Potentiale und Bedürfnisse von Geflüchteten notwendig sei.
Ein zentraler Punkt der lebhaften Diskussion war die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt und Ausmaß der Integration von ukrainischen Kindern in das deutsche Betreuungs- und Schulsystem. Aus wissenschaftlicher Perspektive, waren sich die Expert*innen einig, sei eine möglichst rasche Eingliederung zentral, da strukturgebende Routinen wichtig für die Entwicklung von Kindern seien und zudem alle Erfahrungen mit vergleichbaren Fluchtsituationen befürchten ließen, dass es für viele Geflüchtete keine schnelle Rückkehr geben werde. In der Diskussion wurde jedoch auch die Besonderheit der Flucht aus der Ukraine angesprochen: Anders als bei vielen Bürgerkriegen der jüngeren Vergangenheit gebe es eine legitime und von den Geflüchteten anerkannte Regierung, mit der Deutschland und die EU, im Rahmen der geltenden internationalen Verpflichtungen, Rückkehr-, Resettlement- und Integrationsfragen diskutieren könnten und müssten.
Mit der Veranstaltung trug FFVT dazu bei, die Relevanz einer multidisziplinären und vielfältigen Flucht- und Flüchtlingsforschung in Deutschland zu verdeutlichen, die politischen Entscheider*innen helfen kann, den mit Flucht und Vertreibung verbundenen Herausforderungen bestmöglich informiert zu begegnen.