Nach mehreren Jahrzenten am DIE verlässt Prof. Dr. Imme Scholz das Institut. Die Stellvertretende Direktorin blickt in einem persönlichen Beitrag zurück und schaut in die Zukunft.
1992 bin ich ans Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) gekommen und geblieben. Die einzigen kurzen Unterbrechungen führten mich ins brasilianische Amazonasgebiet, zuerst fast anderthalb Jahre für die empirische Forschung zu meiner Doktorarbeit und später drei Jahre für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) als Umweltpolitikberaterin. Nach der Geburt meines Sohnes war ich nur vier Monate nicht an meinem Arbeitsplatz – die Elternzeit gab es damals noch nicht. Das DIE war also eine sehr wichtige Konstante in meinem Leben. Mit Begeisterung habe ich geforscht, beraten und zum Lernen beigetragen, ebenso sehr hat es mich gereizt, bei der Weiterentwicklung des Instituts und des Politikfelds mitzutun – denn wie sehr hat sich die Welt seit 1992 verändert!
Der Aufstieg Chinas war Anfang der 2000er-Jahre zwar schon zu sehen, aber die Geschwindigkeit und das Ausmaß dieses Entwicklungsprozesses waren und sind überwältigend; seine Folgen für die globalen Strukturen und die Weltpolitik werden nun deutlich. Die anderen Schwellenländer haben nach vielversprechenden Anfängen nicht mit China Schritt halten können, sind aber seit der Gründung der G20 aus der Weltpolitik nicht mehr wegzudenken. Der G20 und den Vereinten Nationen ist es bisher jedoch nur punktuell gelungen, die Risiken und Krisenhaftigkeit einer ökonomischen und kommunikativen Globalisierung einzuhegen und globale Herausforderungen global und gemeinsam anzugehen.
Das DIE hat all diese Veränderungen gesehen und in seine Arbeit einbezogen; es hat neue Netzwerke aufgebaut und arbeitet nun mit einem internationalen Stab vor allem in englischer Sprache. 1992 sah das ganz anders aus; der Bezugspunkt waren tatsächlich die deutsche entwicklungspolitische Diskussion, BMZ, GTZ und KfW, neben Weltbank und IWF natürlich. Es ging um wirtschaftliche Entwicklung, die im Wesentlichen als nachholend gedacht wurde; durch die Rio-Konferenz 1992 war das Umweltthema präsent, aber eher am Rande; Demokratie und Teilhabe kam in den 1990er-Jahren gerade erst auf. Gleichzeitig fand länderbezogene Forschung zu Asien, Lateinamerika und Afrika statt; das ist heute nicht mehr so. Das DIE befasst sich mit Transformationsprozessen zu einer nachhaltigen und klimagerechten Entwicklung, mit Ländergruppen und Strukturfragen, und setzt einen starken Fokus auf den afrikanischen Kontinent.
Was wird in Zukunft wichtig sein? Europa wird seine politische und wirtschaftliche Verortung definieren und verteidigen müssen, unter erschwerten geopolitischen Bedingungen. Es gibt keinen Grund, den Anspruch einer demokratischen, inklusiven Gesellschaft aufzugeben, die im Frieden mit der Natur und ihren Nachbarn wirtschaftet – im Gegenteil, Bündnispartner gibt es dafür auf allen Kontinenten, man muss sie nur erkennen. Internationale Beziehungen mit einem wirklichen 360°-Blick werden dafür essentiell sein; die entwicklungspolitische Praxis hat hier viel zu bieten und gleichzeitig zu lernen und zu verändern, um weiterhin wirksam zu sein im Konzert aller Außenbeziehungen. In der Heinrich-Böll-Stiftung werde ich dazu beitragen, diesen 360°-Blick einzuüben, zu verstehen und zu nutzen. Und ich bin sicher, dass das Institut auch dafür weiterhin vorneweg sein und einen unverzichtbaren Beitrag leisten wird!
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