Wenn ich über die Zukunft des Entwicklungsforschungs- und UN-Standorts Bonn nachdenke, dann ist es automatisch das Motto der UN Bonn, das meine Überlegungen prägt: Nachhaltigkeit gestalten. Dieses Motto ist der Bogen, der die verschiedenen Handlungsstränge verbindet.
Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungsforschung, die großen globalen Agenden und die Umsetzung vor Ort, die Arbeit der Vereinten Nationen, von Nationalregierungen, Bundesstaaten, Provinzen, Regionen und Städten, von Wissenschaft, Unternehmen und Zivilgesellschaft. – Gerade im Jahr der 23. Weltklimakonferenz, zu der rund 20.000 Teilnehmende nach Bonn kommen werden, wird eines besonders deutlich: In Bonn geht es um globale Querschnittthemen – und zwar aus allen möglichen Perspektiven, in allen möglichen Verbindungen. Intersektoral, interdisziplinär, interaktiv und vor allem international.
Seit der Bundestag am 20. Juni 1991 seine – knappe – Entscheidung für Berlin als Bundeshauptstadt und die heutige Aufgabenteilung zwischen Bundeshauptstadt und Bundesstadt Bonn traf, ist viel geschehen. Bereits im Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 ist die neue Rolle Bonns festgeschrieben. Verwiesen wird hier insbesondere auf § 1 Abs. 2
(Maßgaben der Umsetzung) Ziffer 3 (Erhalt und Förderung politischer Funktionen in der Bundesstadt Bonn). Die dort angesprochenen Politikbereiche umfassen
a) Bildung und Wissenschaft, Kultur, Forschung und Technologie, Telekommunikation,
b) Umwelt und Gesundheit,
c) Ernährung, Landwirtschaft und Forsten,
d) Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen
§6, der den Ausgleich zwischen beiden Standorten regelt, setzt in Abs. 2 unter Ziffern 1 (Bonn als Wissenschaftsstandort) und 3 (Bonn als Standort für Entwicklungspolitik, nationale, internationale und supranationale Einrichtungen) nochmals Prioritäten in Richtung von Internationalität und nachhaltiger Entwicklung.
Wer aus heutiger Perspektive liest, sieht deutlich die Überlappungen und Bezüge – nicht nur im Lichte der 2015 verabschiedeten Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals oder kurz: SDGs) unter der Agenda 2030, sondern auch mit Blick auf die vielfältigen Vernetzungen und Bezüge von Bonner Akteuren und Themen.
Die Vision des Gesetzes von 1994 ist 2017 Realität. Rund 20 UN-Organisationen gestalten miteinander und in lebendigen Kooperationen mit anderen Bonner Akteuren Nachhaltigkeit – in immer neuen Konstellationen. Der Grund liegt auf der Hand – sektorales Denken ist auf dem Rückzug, siehe SDGs.
UN-Standort Bonn wächst
Der UN-Standort wächst – und das ist auch räumlich sichtbar am UN Campus, dem Herzstück des Internationalen Bonn rund um den „Langen Eugen“, das ehemalige Bürohaus der Bundestagsabgeordneten. Längst wurde auch das alte Abgeordnetenhochhaus für die Vereinten Nationen umgebaut. Dort sitzt heute die Klimarahmenkonvention. Der Platz aber reicht immer noch nicht. Ein Neubau entsteht direkt nebenan – und auch das Haus Carstanjen, seit 1996 Sitz von UN Organisationen, ist weiter in multilateraler Hand. Dort, wo die Geschichte des UN-Zentrums für Nachhaltigkeit Bonn 1996 offiziell begann, zogen 2016 zwei Organisationen ein, die die Umsetzung der SDGs vorantreiben werden – die Globale Aktionskampagne und ein Wissenszentrum für Nachhaltige Entwicklung des Mitarbeitercolleges der Vereinten Nationen.
So wundert wenig, dass nicht nur die Implementierung großer globaler Agenden in Bonn auf der Tagesordnung steht, sondern auch die Forschung zu den größten Herausforderungen und Anforderungen unserer Zeit. Gerade, wenn es um Nachhaltigkeit geht – und damit auch immer um Entwicklung – sind die Schnittstellen zwischen Umsetzung und Wissenschaft fließend, sind Internationalität und Interdisziplinarität Trumpf. Deshalb entwickelt ein städtisches Liaison Office Internationale Wissenschaft in engem Kontakt zu internationalen Organisationen und Wissenschaftseinrichtungen Leitziele und Handlungsfelder für die Wissenschaftsstadt Bonn.
Stadt und Universität kooperieren im Forum Internationale Wissenschaft. Es hat sich als wichtiger Akteur etabliert und bietet aktuellen Themen interdisziplinäre Plattformen. Ziel ist es, strategische Partnerschaften auf- und auszubauen. Eine tragfähige Basis hierfür ist bereits vorhanden. So haben beispielsweise die Universität Bonn und die Universität der Vereinten Nationen (UNU) einen gemeinsamen Masterstudiengang geschaffen, der den weltweit ersten Joint-Master-Abschluss zwischen einer Universität und der UNU bietet. Das Biodiversitätsnetzwerk BION arbeitet seit 2013 inter- und transdisziplinär, indem es Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen mit Akteuren des internationalen Bonn in Projekten zusammenführt. Zu ihnen zählen auch die Wissenschaftsmittler und –förderorganisationen – der Deutsche Akademisches Austauschdienst (DAAD), die Alexander von Humboldt-Stiftung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft -, die jährlich Tausende von in- und ausländischen Wissenschaftlern nach Bonn bringen.
Forschung zu nachhaltiger Entwicklung
Entwicklungsforschung in Bonn, das ist Forschung zu nachhaltiger Entwicklung in all ihren Aspekten. In Institutionen wie dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) oder der Dachorganisation Europäischer Entwicklungsforschungsinstitute (EADI) werden Erkenntnisse und Trends aus den großen globalen Agenden zu konkreten Politikempfehlungen, während das Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in besonderem Maße die Auswirkungen des globalen Wandels in seiner Feldforschung betrachtet.
Auch innerhalb der Vereinten Nationen wird zu Entwicklung geforscht. Insbesondere in der United Nations University, die hier ihr Vizerektorat Europa betreibt. In eigenen Wissenschaftsplattformen wie IPBES, der zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistung. Oder in der Konvention zur Bekämpfung der Landdegradierung, die gerade einen neuen Bericht vorbereitet.
Entwicklungsforschungsstandort und UN Standort Bonn – das lässt sich aus meiner Sicht nicht trennen. Denn Entwicklung erfolgreich gestalten, das geht nur nachhaltig.
Das genau ist das Fundament, auf dem der Erfolg dieses Standorts beruht. Auf der Verknüpfung von Themen und der Zusammenarbeit von Akteuren. Diese Qualität wird Bonn vor und während der kommenden 23. Weltklimakonferenz erneut unter Beweis stellen können, im Rahmen vielfältiger Events und Kooperationen.
Diese Blogreihe ist übertitelt „Die Zukunft der Deutschen Entwicklungszusammenarbeit“. Bislang war dies eine Reise in die Vergangenheit und ein Spaziergang durch eine – erfreuliche – Gegenwart.
Bonn als Zukunftslabor
Was wird die Zukunft bringen? Sicherlich nicht weniger Aufgaben für Entwicklungspolitik und damit auch Entwicklungsforschung. Sicher nicht weniger Aufgaben für die UN. Ziemlich sicher wird aber der holistische Ansatz der SDGs Auswirkungen haben auf die Betrachtung von Themen in größeren Zusammenhängen. Ziemlich sicher werden die großen globalen Agenden an immer mehr Punkten zusammengeführt werden – ein großes Synergiepotenzial für die Umsetzung, ein spannendes Forschungsfeld für die Wissenschaft. Interdisziplinarität wird Trumpf sein. Nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Ausbildung des Nachwuchses. Mit seiner spezifischen Architektur hat der internationale Wissenschaftsstandort Bonn das Potential, sich zu einem Zukunftslabor zu entwickeln. Einem Beta-Place für die Zukunftsthemen der Menschheit.
Und während einerseits Vernetzungen und Betrachtungen immer globaler werden, werden regionale und lokale Akteure immer wichtiger für das Gelingen globaler Strategien.
Am Standort Bonn laufen alle diese Stränge zusammen. Wir haben hier nicht nur das Motto und das Potenzial, sondern auch das Rüstzeug, gemeinsam Nachhaltigkeit zu gestalten. Im Sinne der SDGs und weit über 2030 hinaus.