Mut zum Quantensprung. Die Europäisierung der Entwicklungszusammenarbeit als Zukunftsprojekt

Nicht neu denken, sondern neu handeln!

Ein Europa „im Aufbruch“ braucht nicht nur rhetorische Visionen, sondern auch praktische Gestaltungsmacht. Nachdem im militärischen Bereich (Stichwort: Europäischer Verteidigungsfonds) bereits zaghafte Versuche gestartet wurden, ist es an der Zeit, das Zukunftsprojekt „Europäisierung der Entwicklungszusammenarbeit“ in Angriff zu nehmen, d.h. die Integration aller öffentlichen Entwicklungsleistungen der EU-Kommission und der EU-Mitgliedsländer. Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist der Politikbereich, der sich geradezu für eine Europäisierung aufdrängt.

EU weltweit größter Geber. Fragmentierung – ein Grundübel

Europa erbringt derzeit 58 % der weltweiten öffentlichen Entwicklungsleistungen (ODA, Official Development Assistance) und ist weltweit der größte Geber (etwa 75 Mrd. 2016, 0,51% des BSP). Die EZ der EU teilt sich auf in Leistungen der Kommission (etwa 20%) und die Leistungen der 28 Mitgliedsländer (etwa 80 %). Die 28 Mitgliedsländer haben einzelne entwicklungspolitische Strategien und Programme. Die Fragmentierung der EZ in diesen 28 Programmen ist ein Grundübel der europäischen Entwicklungspolitik und kann durch noch so viel Koordinierung und Gemeinschaftsprogramme nicht aufgehoben werden. Dazu kommt noch eine Aufsplitterung in den einzelnen Ländern. Allein in Deutschland leisten neben dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) noch weitere 13 Ministerien Beiträge, die als öffentliche Entwicklungsleistungen angerechnet werden, wenn auch häufig nur minimale Beträge (mit Ausnahme des Auswärtigen Amtes und des Umweltministeriums, die allein 9 % bzw. 3 % der deutschen ODA- Leistungen erbringen).

Es ist an der Zeit, diese Fragmentierung zu überwinden und eine integrale Europäisierung der EZ schrittweise in Angriff zu nehmen. Als Zeithorizont kämen 5 bis 10 Jahre in Betracht. Die Weichen sollten aber jetzt gestellt werden.

Zusammenarbeit mit neun Weltregionen und sinnvolle thematische Ausrichtung

Die EU arbeitet derzeit entwicklungspolitisch mit neun Weltregionen zusammen: Afrika, Karibik, Ozeanien, Asien, Naher Osten, Mittelmeerraum, Lateinamerika, Osteuropa und Südosteuropa.

Nach dem europäischen Entwicklungskonsens konzentriert sich die EU-Entwicklungszusammenarbeit auf sieben Kernbereiche:

  • Handel und regionale Integration
  • Umwelt, natürliche Ressourcen, Infrastruktur
  • Wasser und Energie
  • Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft
  • Staatsführung, Menschenrechte und Demokratie
  • Konfliktvermeidung und -prävention, fragile Staaten
  • Menschliche Entwicklung, sozialer Zusammenhalt

In der „Agenda for Change“ (2012) hat sie besonders die Menschenrechte, nachhaltiges Wachstum, die bedürftigsten Länder und die Einbeziehung der Privatwirtschaft ins Zentrum gerückt. Das waren notwendige und sinnvolle Akzentuierungen.

Acht Instrumente bieten sich als Nukleus an

Die EU Kommission verfügt über acht Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, über die derzeit rd. 20% der EU-EZ abgewickelt werden. Nun kommt es darauf an, die anderen 80% der EU-EZ, nämlich die einzelnen EZ-Programme der 28 EU-Mitgliedsländer in diese Instrumente einzugliedern. Diese Instrumente können als vorzügliche Integrationskanäle und Bündelungsagenturen dienen und den Weg zu einer einheitlichen EU-EZ bereiten.

Der Zusammenschluss der entwicklungspolitischen Programme spart Kosten, erhöht die Wirksamkeit und stärkt die Rolle der EU als Gestaltungsmacht für nachhaltige Entwicklung.

Die acht Instrumente sind:

  1. Der Europäische Entwicklungsfond (EEF), mit dem die 79 Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifik unterstützt werden (Finanzvolumen jährlich etwa 4 Mrd. Euro, deutscher Anteil 20,5%). Der EEF wird nicht aus dem Gesamthaushalt der EU finanziert, sondern aus direkten Beiträgen der Mitgliedsländer, wobei die Beitragssätze auf dem Verhandlungsweg festgelegt werden. Bestandteil des EEF ist auch die „Friedensfazilität für Afrika“, mit der Friedensmissionen in Afrika finanziert werden. Aus dem allgemeinen EU-Haushalt (finanziert durch feste Mitgliedbeiträge, deutscher Anteil 21%) werden die Programme und Projekte aller anderen Länder finanziert (Finanzvolumen jährlich etwa 8 Mrd. Euro)
  2. Das Finanzierungsinstrument für Entwicklungszusammenarbeit (DCI, Development Cooperation Instrument) dient der Unterstützung der Kooperation mit den Ländern Asiens und Lateinamerikas.
  3. Das Europäische Nachbarschaftsinstrument (ENI, European Neighborhood-Instrument) unterstützt die Mittelmeerländer (u.a. Maghreb, Ägypten, Jordanien, Libanon) und die osteuropäischen Länder (u.a. Ukraine, Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan).
  4. Das Instrument für Heranführungshilfe (IPA, Instrument for Pre-Accession Assistance), fördert die potentiellen Beitrittskandidaten Albanien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Türkei und Island und die potentiellen Beitrittsbewerber Bosnien-Herzegowina und Kosovo.
  5. Das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR, European Instrument for Democracy and Human Rights) unterstützt vornehmlich zivilgesellschaftliche Gruppen, Menschenrechtsorganisationen und Wahlbeobachtungsmissionen in derzeit 100 Ländern (900 Projekte).
  6. Das Instrument für Stabilität und Frieden (IfSP, Instrument for Stability and Peace) dient der Förderung der politischen Stabilität, der Friedenskonsolidierung, der Krisenprävention und der Krisenvorsorge. Projekte werden in derzeit 65 Ländern durchgeführt (250 Projekte).
  7. Das Europäische Amt für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz (ECHO, European Community Humanitarian Office) hat die Aufgabe, Opfern von Konflikten/Kriegen und Naturkatastrophen Sofort- und Nothilfe zu leisten. ECHO ist derzeit weltweit der bedeutendste Geber für humanitäre Hilfe. Derzeit werden pro Jahr 120 Mio. Menschen in 90 Ländern unterstützt.
  8. Das Instrument für die Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen (CSO-LA, Civil Society Organisation and Local Authorities) fördert Nichtregierungsorganisationen (NROs) aus dem Süden und Norden sowie lokale Behörden, derzeit in 56 Ländern.

Ein erster Schritt für eine Europäisierung der EZ wäre die Eingliederung des EEF-Haushaltes in den allgemeinen Haushalt der EU.

Fazit

Die EU verfügt über ein genau auf Problemlagen und Regionen zugeschnittenes Instrumentarium. In diese Kernstruktur sollten schrittweise die EZ-Programme der 28 EU-Mitgliedsländer überführt werden (Zeithorizont 5 bis 10 Jahre). Mit ein wenig Phantasie wäre es sogar denkbar, dass Großbritannien 5 bis 10 Jahre nach dem Brexit, – nachdem es die nationalen Ziele in etwa erreicht hat,- sich an einem solchen Projekt beteiligt, um wieder internationale Reputation zu gewinnen.

Durch die Europäisierung der EZ könnte die EU eine klares, sichtbares und für die Öffentlichkeit nachvollziehbares Gestaltungsprofil gewinnen, die bisherige Fragmentierung überwinden, die Effizienz erhöhen, Kosten mindern und zu einem wirksamen Gestalter entwicklungspolitischer globaler Ordnungspolitik werden. Europa braucht nicht nur neues Denken, sondern auch neues Handeln.

Image: Michael Bohnet

Michael Bohnet ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Ministerialdirektor i.R. Er arbeitete über 30 Jahre im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

1 comment

  1. Konrad Melchers - Antworten

    Super Vorschlag, muss dringend in die Koalitionsverhandlungen eingebracht werden !!!

    Auch die zivilgesellschaftliche Entwicklungspolitik muss sich europäisieren. VENRO muss sich mit Schwesterorganisationen der 28 EU-Mitgliedsländer zusammenschließen. Wenn es nur noch einen EU EZ-Haushalt gibt, sollte die EZ von Kirchen und NRO’s nur noch gefördert werden, wenn sie eine europäische Zusammenarbeit nachweisen können. Die politischen Stiftungen müssen sich im Kontext der Fraktionen im EU-Parlament ebenfalls europäisieren. Für die nachgeordneten Strukturen des BMZ (GIZ, KfW/DEG, Engagement Global) muss eine Weiterentwicklung konzipiert werden. Europäisierung der EZ darf sich nicht weiter von der gesellschaftlichen Basis entfernen. Deshalb sind die kommunale EZ zu stärken und Teile der NRO-EZ über partizipative kommunale Strukturen zu fördern. Die europäische EZ muss die entwicklungspolitischen Potentiale der Flüchtlinge/Migranten zugunsten ihrer Herkunftsländer endlich nutzen.

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