Zwei Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens ist Deutschland von deren konsequenter Umsetzung weit entfernt. Es fehlt vor allem am politischen Willen, aber auch an ressortübergreifender Abstimmung und ganzheitlichem Regierungshandeln. Doch wie können wir echte Politikkohärenz für die sozial-ökologische Transformation erreichen? Eine grüne Idee ist es, einen „SDG-TÜV“ für Nachhaltigkeit, Frieden und Menschenrechte auf Regierungsebene einzuführen und die bestehenden Nachhaltigkeitsstrukturen zu stärken.
Die Verabschiedung der Agenda 2030 und des Klimaabkommens von Paris machte das Jahr 2015 zu einem Meilenstein für nachhaltige Entwicklung. Ein Aufbruch mit klaren Zielen: Alle Länder, unabhängig von ihrem Entwicklungsstatus, sind verpflichtet, bei sich zu Hause ihren Beitrag für eine global nachhaltige Entwicklung zu leisten, um Hunger und Armut abzubauen, friedliche und inklusive Gesellschaften zu fördern, Wohlstand gerechter zu verteilen und nachhaltig zu wirtschaften. Doch um die Nachhaltigkeitsagenda tatsächlich zu einem Erfolg zu machen, braucht es eine konsequente und kohärente Umsetzung. Aber genau hier besteht enormer Nachholbedarf. Denn mit unserer Handels-, Agrar-, Kohle- und Exportpolitik machen wir immer wieder genau das kaputt, was Umwelt-, Entwicklungs- und Friedenspolitik erreicht haben. Wir Grünen wollen deshalb einen „SDG-TÜV“, eine ex-ante Folgeabschätzung für Nachhaltigkeit, Frieden und Menschenrechte, auf Regierungsebene einführen und die bestehenden Nachhaltigkeitsstrukturen deutlich aufwerten. Nur so kann die Agenda 2030 konsequent in ganzheitliches Regierungshandeln umgesetzt werden.
Kohärente Politik im Sinne der SDGs: In Deutschland Fehlanzeige
Der Bundesregierung fehlt es an einer klaren Linie in der Umsetzung der Agenda 2030. Die Ressorts betreiben kurzsichtige Politik, jedes auf sein begrenztes Themengebiet beschränkt und selten im Sinne der Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG). Das führt immer wieder zu Widersprüchen, Blockaden, Ressourcenvergeudung und sich gegenseitig widersprechenden Politikansätzen.
So redet die Bundesregierung viel und gern von Fluchtursachenbekämpfung und (ziviler) Krisenprävention, befeuert aber gleichzeitig mit Rüstungsexporten in Krisengebiete kriegerische Auseinandersetzungen und trägt zu humanitären Katastrophen bei. Der Bundessicherheitsrat genehmigt immer wieder neue deutsche Rüstungsgüter für Kriegsparteien wie Saudi-Arabien und Katar. Beide Länder sind als Teil einer Kriegsallianz für die katastrophale Situation im Jemen mitverantwortlich. Das ist verantwortungslos und schon gar nicht im Sinne von Frieden und nachhaltiger Entwicklung. Die grüne Bundestagsfraktion fordert deshalb seit langem ein Rüstungsexportkontrollgesetz.
Auch in der Handels- und Wirtschaftspolitik fordern Minister Müller und zuletzt selbst Kanzlerin Merkel die Weltgemeinschaft zu fairem Handel mit den afrikanischen Ländern auf. Doch gleichzeitig treibt die Bundesregierung Abkommen voran, die eine nachhaltige Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 konterkarieren. So zerstören die ausgehandelten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika die lokalen Märkte, schränken das nationale Recht auf Exportsteuererhebung ein und gefährden die Ausbildung einer eigenständigen Industrie und regionaler Landwirtschaft.
Das sind nur zwei Beispiele aus einer langen Liste, die verdeutlichen: echte Politikkohärenz im Sinne der Agenda 2030 ist in Deutschland Fehlanzeige. Dabei muss die Agenda 2030 der handlungsleitende Rahmen für alle Politikbereiche sein und endlich als Gesamtregierungsverantwortung verstanden werden – so ist die Agenda angelegt, nur so kann sie funktionieren. Erst wenn die übergreifende politische Bedeutung von Nachhaltigkeit und Menschenrechten ernstgenommen wird, können wir einen Durchbruch beim Klimaschutz, bei globaler Gerechtigkeit und in der Friedenspolitik erreichen.
Bestehende Instrumente zur Umsetzung der Agenda 2030 greifen zu kurz
Zwei Jahre nach der Verabschiedung der Agenda 2030 hinkt Deutschland den Anforderungen noch weit hinterher. Die bestehenden Instrumente für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele greifen viel zu kurz und meist fehlt der politische Wille. Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, die als nationale Grundlage für die Umsetzung gilt, hat zu wenig Gewicht und ist nicht ambitioniert genug formuliert. Auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBNE) ist institutionell zu schwach aufgestellt. Der vom Statistischen Bundesamt jährlich herausgegebene Indikatorenbericht hat nur eine eingeschränkte Prüfwirkung. So wird nur punktuell und nach Ermessen der Bundesregierung die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie geprüft; die Auswirkungen unserer Politik im Ausland werden zudem kaum untersucht. Besonders gravierend: Die Folgen verschiedener Politiken werden erst im Nachhinein geprüft, werden Schwächen festgestellt, wird selten nachgebessert. Genau hier wollen wir ansetzen.
Institutionelles Dreieck für echte Politikkohärenz und nachhaltige Entwicklung
Für echte politische Kohärenz und nachhaltige Entwicklungspolitik müssen wir die bestehenden Nachhaltigkeitsstrukturen stärken und überarbeiten – für ein starkes institutionelles Dreieck für nachhaltige Entwicklung. Deshalb fordern wir eine ex-ante Folgeabschätzung für Nachhaltigkeit, Menschenrechte und Frieden auf Regierungsebene. Dafür soll der derzeitige Staatssekretärsausschuss zu einem Kabinettsausschuss unter Federführung des Kanzleramtes aufgewertet werden. Konkret sollen dort relevante Regierungsvorhaben und Gesetzesentwürfe vor ihrer Verabschiedung im Kabinett auf ihre menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Konsequenzen – in Deutschland und weltweit – überprüft, diskutiert und gegebenenfalls Anpassungen empfohlen werden. Der PBNE sowie die Ausschüsse des Bundestages müssen den Kabinettsausschuss verbindlich auffordern können, sich mit den Auswirkungen einer anstehenden Entscheidung intensiver zu beschäftigen. Gleichzeitig wollen wir den PBNE aufwerten, indem wir ihn fest in der Geschäftsordnung des Bundestages verankern und den Rat für nachhaltige Entwicklung in ein genuines Beratungsgremium aus Forschung und Zivilgesellschaft umbauen. Nicht die Bundeskanzlerin, sondern die Mitgliedsorganisationen sollen entscheiden, wer in den Rat entsandt wird.
Dieses Konzept muss sicher noch weiterentwickelt und offene Fragen beispielsweise zum genauen Verfahren und der Öffentlichkeit geklärt werden. Diese wollen wir breit diskutieren und eine breite öffentliche Debatte anregen – mit Parlament, Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Mit dem institutionellen Dreieck für echte Politikkohärenz im Sinne der Agenda 2030 wollen wir einen Paradigmenwechsel, einen Kulturwandel einleiten – Nachhaltigkeit und Menschenrechte sind Gesamtregierungsverantwortung. Das zu erreichen und zu entwickeln ist eine der zentralen Herausforderungen für die nächste Bundesregierung.