Wie kann Deutschland seine UN-Politik verbessern?

Image: Katalog

Forderungen für progressive Politik

Im September finden die nächsten Bundestagswahlen statt. Zivilgesellschaft, Wissenschaft, und politische Stiftungen bringen ihre Forderungen an die Parteien und an einen zukünftigen Koalitionsvertrag ein. Auch die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) hat einen umfassenden „Forderungskatalog 2017“ veröffentlicht.

 

 

Anfang Juni organisierte die DGVN eine Fachtagung zur Bundestagswahl und der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung: Transformation unserer Welt. VertreterInnen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke stellten ihre Positionen zur Nachhaltigkeitsagenda vor. Zivilgesellschaftliche Akteure eruierten die Zielkonflikte in der deutschen Politik. Ende Juni wird die Diskussion zu Prioritäten für die deutsche UN-Politik als weiteres Gespräch mit den Parteien fortgesetzt.

Es stellt sich die Frage: Wie kann Deutschland seine UN-Politik verbessern? Wie könnte eine progressive UN-Politik vielleicht ausschauen? Dazu vier vorläufige Überlegungen:

  • Auf der normativen Ebene wäre der Bezug zur Universellen Menschenrechtserklärung und der UN-Charta zentraler ins politische Blickfeld zu rücken. Diese „Urtexte“ wurden konkretisiert durch zahlreiche internationale Konventionen, die Deutschland größtenteils ratifiziert hat. Die UN-Normen bilden das Gerüst für Menschenwürde, Demokratie und für ökonomische und soziale Gerechtigkeit sowie für Klimagerechtigkeit. Sie stehen dem Neonationalismus, falsch ausgestaltetem Protektionismus und Rassismus diametral entgegen. Angesichts der konservativen Wende, die uns nun in so vielen Bereichen bedroht, ist es besonders wichtig, sich auf die UN-Normen zu besinnen. Konkret steht u.a. dringend an, die Forderungen der Frauenrechtskonvention voll umzusetzen – Frauenrechte und Gleichstellungspolitik hinken in Deutschland nach wie vor weit hinter den Zusagen von 1995 hinterher. Auch die Kinderrechtskonvention müsste vertieft und im Grundgesetz verankert werden, um die Einhaltung der Rechte aller Kinder – auch der Flüchtlingskinder – sicherzustellen.
  • Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, Anfang 2017 vom Bundeskabinett verabschiedet, bezieht sich explizit auf die UN-Agenda 2030 und soll daher bis spätestens 2030 umgesetzt werden. Die deutsche Strategie bewegt sich auf drei Ebenen: Herausforderungen und Politikmaßnahmen in Deutschland, Deutschlands Außenwirkung und die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Die deutschen Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitiken müssten in dieser Strategie sehr viel radikaler gefasst sein, wenn man der UN-Agenda 2030 und dem Pariser Klimaabkommen gerecht werden möchte. Trotz „Vollbeschäftigung“ sind 2,7 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit, Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit müssen schnellstens überwunden werden. 1,8 Millionen Menschen gehen wöchentlich zur Tafel – d.h. das Einkommen dieser Haushalte reicht nicht für angemessene Ernährung. Eine aktuelle UNICEF-Studie zeigt, dass Kinder in Deutschland unter den Folgen struktureller Armut leiden: Kinder in Familien mit Migrationshintergrund und Kinder von Alleinerziehenden haben ein hohes Armutsrisiko. Die gravierende Einkommens- und Vermögensungleichheit und die harten Bedingungen von „Hartz IV“ müssten systemisch angegangen werden und das nicht auf Kosten der Umwelt. Für eine echte Nachhaltigkeit müssten die Energiewende und die Dekarbonisierung konsistenter vorangetrieben werden – es werden die erneuerbaren Energiequellen gefördert, doch zugleich steigt der Braunkohleabbau. Der vermeintliche Zwang zu Wirtschaftswachstum und Exportorientierung müsste einer ökologisch-nachhaltigen und sozial-gerechten Entwicklung untergeordnet werden. Sonst verpufft das Versprechen einer „Transformation“.
  • In Deutschlands internationaler Politik wäre eine stärkere Gewichtung des Multilateralismus wünschenswert. Die deutsche Außenpolitik hat sich wegen der G7- und G20-Präsidentschaften in den letzten beiden Jahren besonders in diesen beiden Foren engagiert, und sie auch geschickt genutzt, um die UN-Agenda 2030 und das Pariser Klimaabkommen an die diversen Verhandlungstische zu bringen. So verpflichtete das Schluss-Communiqué von Elmau alle G7-Staaten, die UN-Agenda 2030 zu unterstützen, die Dekarbonisierung voranzutreiben und den Ausbau genuin erneuerbarer Energie zu beschleunigen. Im Vorbereitungsprozess für den G20-Gipfel spielen die UN-Agenda 2030 und insbesondere Frauenrechte und das Recht auf Zugang zu Gesundheit sowie die Bekämpfung des Klimawandels eine zentrale Rolle. Das ist sehr zu begrüßen, denn progressive Politiker, Parlamentarier und die Zivilgesellschaft in den 20 teilnehmenden Ländern können die Umsetzung solcher Beschlüsse dann bei sich und international einfordern. Dennoch kann man nicht umhin zu fragen, ob selbsternannte Foren wie G7 und G20 den universellen Charakter der Vereinten Nationen nicht aushöhlen und auch, ob der Arbeitsaufwand und die Millionenbeträge, die Events wie Elmau und Hamburg absorbieren, nicht vielleicht in der direkt-multilateralen UN-Arbeit besser angelegt wären.
  • Deutschland ist über die Pflichtbeiträge sowie durch die freiwilligen Beiträge zu Friedensoperationen und zur Nothilfe der viertgrößte Beitragszahler der Vereinten Nationen. Das ist angesichts von Deutschlands ökonomischer Macht und Wirtschaftskraft eine Selbstverständlichkeit. Demgegenüber ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit stark bilateral gewichtet. Das hat mehrere Auswirkungen – viele Projekte haben den haut gout, deutsche kommerzielle Interessen zu begünstigen, und ein beträchtlicher Teil der Entwicklungsgelder verbleibt durch Gehälter und Aufträge in Deutschland und Europa. Seit der größeren Sichtbarkeit der Asylpolitik wird außerdem im entwicklungspolitischen Mainstream relativ unverhohlen davon gesprochen, mit der Entwicklungspolitik wolle man Fluchtursachen bekämpfen – und meint damit nicht, gegen Armut, Hunger und die Auswirkungen des Klimawandels anzugehen, sondern zu verhindern, dass allzu viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Eine Entwicklungszusammenarbeit, die den Prinzipien der UN entspräche, würde dagegen kohärent und konsequent alle Politikbereiche – Handelsrecht, Agrar- und Fischereirecht, Umweltpolitik, Patentrecht, Asylrecht und Migrationspolitik und eben die eigentliche Entwicklungszusammenarbeit – an den Interessen der unteren Einkommensgruppen in armen Ländern ausrichten. Sie würde sich klarer an den Prioritäten der UN-Organisationen orientieren und sich durch sie engagieren.

Solche Umorientierungen sind nicht leicht. Aber sie würden der Vision der Menschenrechtserklärung, der UN-Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens gerecht werden und zu einer progressiven UN-Politik Deutschlands beitragen.

Image: Gabriele Köhler

Gabriele Köhler ist Mitglied der Arbeitsgruppe UN-Agenda 2030 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN) und Vorständin von Women in Europe for a Common Future (WECF).

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