Zukunftsthema Entwicklungspolitik: Aufbruch in ein neues Zeitalter

Image: Raketenstart

Chancen für den Aufbruch liegen parat

Wann, wenn nicht jetzt? Die Fans einer zukunftsfähigen Entwicklungspolitik in Deutschland haben die einzigartige Chance, im Zuge der Nachhaltigen Entwicklungsziele die Welt umzukrempeln. Wer die mit diesen Zielen verknüpfte Agenda 2030 ernst nimmt, wird sich an die Lösung der globalen Probleme machen und gleichzeitig die Strukturen in Deutschland verändern, die mit zur Herausbildung geopolitischer Konflikte, zu Terrorismus, Flüchtlingsbewegungen, Artenverlust und Klimawandel beitragen.

Es gibt sie, die Ziele für eine andere Welt. Die Vereinten Nationen haben im Jahr 2015 siebzehn Ziele beschlossen und so hielten die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs / Sustainable Development Goals) auch in Deutschland Einzug. Doch statt sie energisch aufzugreifen und mit Verve umzusetzen, drücken sich die Verantwortlichen in Wirtschaft, Medien und Politik davor, grundsätzlich zu werden. Denn diese 17 Ziele fordern bis zum Jahr 2030 Schritte für Veränderungen z.B. in der Konsum-, Energie-, Agrar- und der Infrastrukturpolitik ein und machen dem gesamten Establishment Beine. Das übliche Schema des Wachstumsdenkens auf Kosten von Umwelt und Gerechtigkeit steht auf dem Prüfstand. Auch deswegen werden die SDGs in Randbereiche wie z.B. die Entwicklungspolitik abgeschoben oder nur mit spitzen Fingern angefasst. Dabei müssten eigentlich sämtliche Politikfelder voll aufdrehen, um die 17 Ziele zu verwirklichen. Davon ist leider wenig bekannt.

Auftrag zur Rettung der Welt

Natürlich sind die SDGs gerade den Entwicklungspolitiker*innen präsent. Denn die 17 Ziele sind der Aufbruch in ein neues Zeitalter. Sie gelten für alle Länder auf der Welt gemeinsam und sollen bis 2030 auch in den Ländern selbst abgearbeitet werden. Solch einen Gesamtauftrag zur Rettung der Welt hat es noch nie gegeben. Deswegen ist die Chance da, diesen Schwung auch für einen neuen Drive in der Entwicklungspolitik zu nutzen. Das heißt zum einen, dass man in der Regierung den eigenen Bauchladen in der Entwicklungszusammenarbeit den SDGs anpasst. Vor allem das Prinzip der Partnerschaft mit den anderen Staaten und das gemeinsame, multilaterale Handeln muss Einzug in das deutsche Denken und Handeln halten. Das heißt aber auch, dass man zum wiederholten Mal die große, kohärente Abstimmung zwischen allen Politikfeldern einfordert, die in der Verantwortung stehen, globale Probleme zu meistern. Die SDGs bilden hierfür den perfekten Rahmen. Aber die dafür nötigen Strukturen zur Umsetzung müssen sich in der deutschen Ministeriumshierarchie abbilden. Doch wer die kleinkarierten Hierarchiegeplänkel und politischen Kämpfe zwischen den Ressorts kennt, weiß um die Mammutaufgabe einer gemeinsamen Zielentwicklung. 

An Grenzen gelangt

Angesichts der globalen Aufgaben ist das Politikfeld Entwicklungspolitik, wie viele andere übrigens auch, an Grenzen gelangt. Das ist nicht nur so, weil die Erwartungen divers und viel zu sprunghaft sind. Sie reichen von der Hilfe in humanitärer Not, dem Kampf gegen den Raubbau an Rohstoffen, mehr Rechte für indigene Völker, über Korruptions- und Drogenbekämpfung bis hin zur Instrumentalisierung zum Zwecke einer sogenannten Fluchtursachenbekämpfung. Auch die Vorwürfe sind groß und gehen bis zur Forderung der Einstellung von Entwicklungshilfe. Not und Elend seien trotz des vielen Geldes nicht abgeschafft worden, zahlreiche Staaten lebten in Abhängigkeit und kämen nicht los vom Tropf der Geber. Ein noch größeres Problem liegt darin, dass Bereiche wie Handel und Wirtschaft in einer naiven Brutalität allzu oft die Lebensbedingungen vor Ort zerstören und mühsam aufgebaute Entwicklungsprojekte vom Tisch fegen. Wenn tiefgekühlte Hähnchenschenkel aus der europäischen Wegwerfgesellschaft auf den afrikanischen Markt kommen, hat die afrikanische Bäuerin keine Chance, ihr Huhn zu einem fairen Preis zu verkaufen. Gleichzeitig vertiefen sich die Gegensätze. Während der globale materielle Reichtum zunimmt, es tatsächlich Erfolge im Kampf gegen Hunger und Armut gibt, wachsen die sozialen Ungerechtigkeiten innerhalb der Länder. Der Banken- und Finanzsektor spielt hier eine unrühmliche Rolle. Die Folgen sind der Verlust gesellschaftlichen Zusammenhalts und zunehmende Gewalt.

Problematische Zustände zu skandalisieren, haben sich viele in der Entwicklungspolitik zur Aufgabe gemacht. Leider hat die gefährliche Tendenz zugenommen, dass solch eine Arbeit der Zivilgesellschaft in den betroffen Ländern selbst politisch diffamiert und eingeschränkt wird. Den Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen, das reicht für Entwicklungspolitiker*innen nicht aus. Lösungen müssen her und diese sind nur noch in übergreifender Gemeinschaft mit anderen Politikfeldern wie der Finanz-, Energie-, Verkehrs-, Gesundheits- oder Klimapolitik zu schaffen. Das aber muss organisiert und koordiniert werden. Doch wenn der gesellschaftliche Druck nicht kommt, wird es auch den politischen Willen dafür nicht geben, um Ganzheitlichkeit im Handeln aller zu erreichen.

Bei all dem muss mit viel mehr Aufmerksamkeit die Lebenswelt von Frauen beachtet und Frauenrechtsverletzungen bekämpft werden. Die Stärkung der Frauen als Akteure von Entwicklung muss deutlich in den Vordergrund gerückt werden. Auch das sehen die SDGs vor.

Potentiale nutzen

Die Entwicklungspolitik für die nächsten Jahre kann auf der Basis der Steilvorlage aus den Vereinten Nationen in neue Dimensionen aufbrechen. An der finanziellen Ausstattung und dem Einhalten des 0,7 Prozent-Ziels braucht es nicht zu scheitern, wenn man sich nicht auf Trump’sche Aufstockungswünsche für das Militär einlässt und stattdessen die zivilen Konfliktlösungsmechanismen wählt, die sich u.a. in der Menschenrechtsarbeit und der Entwicklungspolitik etabliert haben.

Für all das braucht es in der Politik einen Raum, Aufmerksamkeit und Struktur. Die Linien zwischen auswärtiger Politik, Menschenrechten, Europa, Verteidigung und Entwicklungspolitik müssen bezüglich der SDGs abgestimmt werden und auch mit den anderen Ministerien kooperieren. Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) des Deutschen Bundestages ist leider immer noch ohne großes Prestige. Es gibt nur wenige Abgeordnete, die auf diesem Politikfeld ihre Karriere aufbauen möchten. Dabei kann der Ausschuss viel zum Lernfeld „Globales Denken“ beitragen, wenn er sich den Nichtregierungsorganisationen und Think Tanks öffnet und wieder öffentlich tagt. Die Chancen für einen spannenden Aufbruch liegen parat, sie brauchen nur ergriffen zu werden.

Image: Ute Koczy

Ute Koczy war von 2005-2013 entwicklungspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist gegenwärtig Leiterin des Regionalbüros des Europaabgeordneten Sven Giegold.

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