Welthandel und Industrialisierung sind wichtige Faktoren der Transformation in Entwicklungsländern

Image: Hafen in der Dämmerung

Kernbereich der Globalisierung

Armut steht weiterhin im Mittelpunkt der Bemühungen der Entwicklungszusammenarbeit und wurde erneut als erstes SDG in der Agenda 2030 aufgenommen. Doch entscheidend für die Wirksamkeit zukünftiger Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wird die Frage sein, wie die Ungleichheit in und zwischen den Ländern reduziert werden kann, die infolge der Liberalisierung des Welthandels zustande kam.

 

Als Gewinner der Globalisierung und der europäischen Integration hat Deutschland die strukturelle Verantwortung und die Macht, die Neuausrichtung der EZ positiv zu gestalten. Die Neuausrichtung sollte sowohl mit den traditionellen Partnern im OECD-DAC Umfeld als auch mit Akteuren der Süd-Süd-Kooperation umgesetzt werden.

Der Welthandel wird oft als „Kernbereich der Globalisierung“ bezeichnet, der in den letzten 25 Jahren dramatische Machtverschiebungen ausgelöst hat. Kein Wunder also, dass im ideologischen Diskurs von Populisten das Gespenst des Handelskriegs wieder Einzug erhält: Die Absagen des neuen US-Präsidenten Donald Trump an bereits verhandelte Abkommen mit Anrainerstaaten im Pazifik (PTT) und mit Europa sowie der Brexit haben die bislang bestehende Euphorie für den Freihandel erheblich gedämpft. Die Legende vom Freihandel, der eine Steigerung von Wohlstand in allen Ländern möglich macht, steht häufig im Widerspruch mit der erlebten Situation vieler Menschen nicht nur im globalen Süden.

Internationaler Handel ist notwendig für Nachhaltigkeit im globalen Süden

Mehr als in der Vergangenheit sind Entwicklungsländer heute auf den Außenhandel angewiesen, um den negativen Auswirkungen von Armut und Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. So bemühen sich afrikanische Regierungen derzeit nach Kräften, eine Freihandelszone zu entwickeln, die mehr als 600 Millionen Menschen in 26 Ländern und einen BIP von zusammen 900 Mrd. Euro umfasst. Die Idee hier ist, die Grenzen bestehender Integrationsbemühungen (SADEC, etc.) zu überwinden und eine bessere Verhandlungsposition gegenüber internationalen Handelsmächten wie den USA, der EU oder China zu erreichen.

Ähnliche Entwicklungen sind in Asien und Lateinamerika zu beobachten. Hier gehen die Bemühungen sogar über die weit entwickelten regionalen Handelsabkommen wie MERCOSUR hinaus zu einer überregionalen Integration durch die „Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemeinschaft“ (APEC). Diese Bemühungen wurden zuletzt am 18. November 2016 bestätigt als 21 Minister in Lima eine Stellungnahme zu mehr Integration verfasst haben. Derzeit führt eine stärkere Integration der Entwicklungsländer in das globale Handels- und Finanzsystem allerdings nicht immer zu mehr nachhaltiger Entwicklung, sondern häufig auch zu größeren Außenhandelsdefiziten und wirtschaftlicher Instabilität. Hier machen sich die Folgen von bilateralen und regionalen Handelsabkommen nach dem Geschmack der großen Handelsmächte bemerkbar, die die „Singapurthemen“ durch die Hintertür auf die Verhandlungsagenda setzen wollen.

Rolle der EU

Die EU hat bislang eher zögerlich auf die Bemühungen afrikanischer Länder reagiert, einen Industrialisierungsprozess mit Hilfe regionaler Integration zu fördern. Mehr als hundert Vorschläge der Entwicklungsländer für die Umsetzung der Doha-Runde wurden abgelehnt oder verbannt. Nur geringe Fortschritte wurden erreicht hinsichtlich der besonderen und differenzierten Behandlung (SDT) von Entwicklungsländern in Fragen wie dem Zusammenhang zwischen Ernährungssicherheit und ländlicher Entwicklung. Der Widerstand der Industrieländer, ihre Exportsubventionen für Agrarprodukte oder ähnliche Instrumente abzuschaffen, bedeutet aber vielleicht den größten Rückschlag für die Entwicklungsländer. Als Preis für den Zugang zu ihren Agrarmärkten fordern die Industrieländer von den Entwicklungsländern aber, Importzölle für viele Industriegüter abzuschaffen. Den Entwicklungsländern werden zudem durch das „Übereinkommen über Handelsbezogene Investitionsmaßnahmen“ (TRIMs) wichtige Instrumente genommen, um mit Hilfe von Ursprungsregeln, lokale Industrien vor subventionierter ausländischer Konkurrenz zu schützen. Hier sind die wichtigsten Ursachen für die Ungleichheiten zwischen den Ländern zu suchen.

Die Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements / EPA) mit den AKP (Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks) verliefen bislang sehr zäh und nichts deutet darauf hin, dass insbesondere afrikanische Länder diese neue Formen der Handelsbeziehungen mit Begeisterung aufnehmen. Die EPAs sind zu einem festen Bestandteil der globalen Handelsagenda der EU geworden und haben im Laufe der Zeit immer mehr ihren ursprünglichen entwicklungspolitischen Auftrag verloren: Das Ziel der EU ist eine umfassende Handelsliberalisierung, um die afrikanischen Märkte für europäische Güter, Dienstleistungen und Investitionen zu öffnen. Daher liegt das Interesse der EU u. a. darin, Eigentumsrechte und öffentliche Ausschreibungen in die EPAs aufzunehmen (was u. a. als Singapurthemen bekannt wurde).

Was kann nun getan werden?

Die Zukunft der EZ steht für Deutschland und die EU mehr denn je in Verbindung mit Afrika und dem Mittleren Osten. Kurzfristige Lösungsansätze, die eher in Verbindung mit Sicherheitspolitik und dem Schutz von eigenen Märkten stehen, sind allerdings zum Scheitern verurteilt. Notwendig ist, eine offene Diskussion über die langfristigen Konsequenzen bestehender Ungleichgewichte insbesondere für die Länder des globalen Südens zu führen.

Mindestens drei Prinzipien sind wichtig für eine kohärente Handelspolitik: 1.) Benachteiligte Entwicklungsländer müssen unterstützt werden in ihren Bemühungen, eine eigene verarbeitende Industrie aufzubauen und sich stärker in den globalen Wertschöpfungsketten zu integrieren. 2.) Die Öffnung von Agrarmärkten von Entwicklungsländern durch die Zollbindungen im Rahmen von Handelsabkommen darf das Recht auf Nahrung insbesondere in den am wenigsten entwickelten Ländern nicht gefährden. 3.) Handel ist nur ein Instrument und nicht das Ziel der Entwicklungszusammenarbeit. Eine neue Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit muss als Antwort auf die „vier sich wechselseitig verstärkenden Wellen des globalen Wandels“ sein (Dirk Messner). Es geht also insgesamt darum, diese Antworten als Teil der strukturellen Verantwortung zu verstehen, die insbesondere Deutschland als Gewinner der Globalisierung zukommt. Da Deutschland als die neue führende Macht innerhalb der EU agiert, können diese Antworten nur im unmittelbaren Zusammenhang mit einer strategischen Neuausrichtung der EU-Entwicklungszusammenarbeit entwickelt werden.

Die G20 war noch im September 2016 entschlossen, unter Berücksichtigung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, dem Aktionsplan von Addis Abeba und dem Abkommen von Paris, zur Herbeiführung einer neuen Ära des globalen Wachstums und der nachhaltigen Entwicklung eine innovative, neu belebte, vernetzte und integrative Weltwirtschaft zu fördern. Dabei ging es u. a. darum den Aufbau einer offenen Weltwirtschaft zu fördern und dem Protektionismus eine Absage zu erteilen. Damals regierte im Weißen Haus Barak Obama. Seitdem hat sich die Stimmung radikal verändert. Insbesondere die Zweifel der US-Regierung an dem Klimaabkommen von Paris, aber auch die protektionistischen Tendenzen werden den Geist der G20 in diesem Jahr bestimmen.

In der Global Governance hat die G20 nicht die nötige innere Konsistenz, auf die neuen entwicklungspolitischen Herausforderungen entsprechend zu reagieren. Insbesondere wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen scheinen hier Hindernisse zu sein. Auch deswegen sollte die EU in der Lage sein, neue Allianzen einzugehen und dazu beizutragen, multilaterale Strukturen zu stärken. SDG1 und SDG10 der Agenda 2030 können hier im Mittelpunkt einer neuen Ausrichtung der EZ stehen. Sie verbinden die Überwindung von Armut und Hunger mit der Überwindung von Ungleichheiten in und zwischen den Ländern. Eine bessere Grundlage für die Neuausrichtung kann es nicht geben.

Image: Pedro Morazán

Pedro Morazán ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene, Bonn

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