Entwicklung + Sicherheit = Frieden: Das falsche Paradigma

Image: Formeln

Die Rechnung ist zu einfach

Das Wegbrechen staatlicher Strukturen sowie das Aufflammen und Andauern von Gewaltkonflikten in vielen Regionen der Welt veränderten die Parameter der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in den letzten 20 Jahren drastisch. So stellt sich in der EZ immer häufiger die Frage, an welchen Orten man überhaupt noch arbeiten kann, wer die Partner und was die richtigen Instrumente sind.

 

Immer stärker, so der Eindruck, spielen Fragen nach der Sicherheit der Durchführungsorganisationen selbst oder nach der Schnittstelle zwischen Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe (Stichwort: Übergangshilfe) eine zentrale Rolle. Aufgrund immer neuer Interventionen, an denen sich Diplomaten, Militärs und auch Entwicklungs- und humanitäre Helfer beteiligen, dominiert im deutschen Politikgeschäft ein Dreiklang, den Politiker nicht müde werden zu betonen: Entwicklung und Sicherheit führen zu Frieden. Auch Oberst Richter hob in seinem jüngsten Beitrag in diesem Blog die Kohärenz dieses Dreiklangs hervor. Alle verfolgen das gleiche Ziel, weshalb eine Kooperation ein unausweichliches Muss ist.

Begriffliche Schwierigkeiten

Die Schwierigkeit an dieser Grundüberzeugung ist, dass sie auf einer abstrakten Ebene ansetzt, die mit alltäglichen Fragen der Praxis wenig zu tun hat. Hinter allen drei Begriffen – „Frieden“, „Entwicklung“ und „Sicherheit“ – verstecken sich sehr vage, aber oftmals idealistisch überhöhte Vorstellungen. Natürlich ist niemand gegen Frieden, Entwicklung und Sicherheit per se; jeder von uns trägt eine bestimmte Vorstellung dieser drei Begriffe im Geiste mit sich. Dies führt dazu, dass – je nach politischer Vorliebe – jeder von uns von dem ein oder anderen dieser drei Paradigmen niemals genug haben kann; es sind Begriffe, die auf der Skala nach oben offen sind. So kommt es immer wieder zu Situationen, in denen sich alle drei Begriffe gegenseitig im Wege stehen, ja sogar ausschließen: Die Sicherheitsbedürfnisse des einen mögen etwa die Entwicklungsmöglichkeiten des anderen einschränken.

Daher kommt es sehr auf den spezifischen Kontext an, wie Sicherheit, Entwicklung und Frieden zusammenspielen und hängt diese Zusammenschau sehr von kollektiven und individuellen Sichtweisen ab. Es mag eingewendet werden, dass in all diesen drei Themenfeldern beispielsweise Deutschland objektiv besser abschneidet als Somalia; doch beinhaltet solch ein Argument gleich die Gefahr einer kulturellen Überheblichkeit und Besserwisserei, da abstrakte Begriffe gleich mit einer gewissen Wertigkeit und Messbarkeit versehen werden: Wer bestimmt denn, was Entwicklung für eine 34jährige somalische Bäuerin in Hobyo bedeutet?

Wenn daher die Politik davon spricht, dass die Bundeswehr ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau schaffen soll, klingt dies erst einmal einleuchtend, übersieht aber die Vielzahl an Herausforderungen, die sich hier stellen: Vielleicht ist die Bundeswehr (zumindest diese Frage muss gestellt werden) gar nicht der Akteur, der für Sicherheit sorgen kann, sondern verstärkt – ganz im Gegenteil – bereits durch ihre Präsenz gewisse Gewaltkonflikte und wird damit zum Unsicherheitsfaktor. Weiter ist zu fragen, wessen Wiederaufbau gemeint ist und wer davon profitiert; vielleicht lehnt ja ein Teil der Bevölkerung die Entwicklungsmaßnahmen, die das Militär schützen will, rundweg ab. In solch einem Fall würden „unsere“ Vorstellungen von Sicherheit und Entwicklung letztlich eher zu einer Gewalteskalation führen. Beispiele für solch eine Ausblendung lokaler Akzeptanz fanden sich in der Afghanistanintervention jede Menge.

Zu einfache Rechnung

So ist die Rechnung, Sicherheit und Entwicklung bedingen sich gegenseitig und führen automatisch zu Frieden, viel zu einfach. Es entscheidet der spezifische Kontext, ob es in einem Fall sinnvoll ist, dass Entwicklungsorganisationen und Bundeswehr gemeinsam an einem Projekt arbeiten, aber in einem anderen Kontext tunlichst die Finger voneinander gelassen werden sollten. Eine pauschale Regel gibt es hier nicht. Vor diesem Hintergrund will ich in dieser Debatte auf zwei wichtige Punkte hinweisen.

Erstens, es kommt weniger auf die technische Frage an, wie Deutschland seine Instrumente besser koordinieren und abstimmen kann, sondern darauf, was die betroffene Bevölkerung von der Intervention erwartet. Hier ist es ein Trugschluss, dass von einer homogenen Bevölkerung ausgegangen werden kann, die das gleiche will. Gerade in Konfliktgesellschaften sind soziale und politische Brüche enorm und das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen gering. Daher ist ein dichtes Kontextverständnis notwendig, damit politische Entscheidungsträger in Deutschland überhaupt in die Lage versetzt werden zu beurteilen, unter welchen Zielsetzungen und mit welchen Instrumenten eine Intervention überhaupt sinnvoll ist. Bislang war das Gegenteil der Fall: Die Politik entschied, wie viele Soldaten und Hilfsgelder zur Konfliktbewältigung eingesetzt werden sollen; das Verständnis für das, was überhaupt sinnvoll und machbar ist, kommt erst viele Jahre später – dann aber in der Regel mit erschreckender Wucht.

Zweitens hilft die Diskussion um Frieden, Entwicklung und Sicherheit nicht wirklich weiter. Gegenwärtig erleben wir, dass mit dem Instrument der Ertüchtigungshilfe ganze Regionen stabilisiert werden sollen. Die Frage, wie es die entsprechenden Länder mit Demokratie, Menschenrechten und guter Regierungsführung halten, wird allerdings kaum gestellt. So besteht die Gefahr, dass eine Intervention nur daran gemessen wird, ob es weniger Tode (also mehr Sicherheit) und ein steigendes Prokopfeinkommen (also mehr Entwicklung) gibt, nicht aber an der Qualität des Lebens.

Wenn das Primat der Sicherheit dazu führt, dass autoritäre, teilweise brutale Regime gefördert werden, läuft etwas ganz und gar falsch; wenn Entwicklungsprojekte dazu führen, dass Menschen ihren Lebensraum verlieren und zu den Waffen greifen, ist das Gleiche zu konstatieren. Die Gefahr, die ich daher bei dem oben genannten Dreiklang sehe, ist, dass sie auf einer zu abstrakten Ebene ansetzt. Die Herausforderungen stellen sich im reellen Leben und bestehen eben nicht darin, Begriffe zu finden, die miteinander in eine harmonische Klangwelle gebracht werden, weil sie so abstrakt und positiv besetzt sind. Weder Sicherheit, noch Entwicklung, noch Frieden sind per se gut: Kann man das Leben in Nordkorea als ein friedliches und sicheres beschreiben? Findet nicht auch in Regionen, in die Entwicklungshelfer noch niemals einen Fuß gesetzt haben, Entwicklung statt?

Mehr Ehrlichkeit

In Anbetracht dieser Diskussion sollte daher mehr Ehrlichkeit angebracht sein. Anstelle große, alles überwabernde Begriffe wie Frieden, Entwicklung und Sicherheit zu debattieren, geht es doch eigentlich eher um das offene Bekenntnis zu bestimmten Interessen und einer Legitimierung staatlicher Politik. Wie kann dem Steuerzahler und Wähler vermittelt werden, dass Diplomaten, Entwicklungshelfer und Soldaten in ferne Länder wie Mali, Afghanistan und Südsudan entsandt werden, ohne dass diese direkt an einem Strang ziehen? Anstelle sich der Komplexität jeder dieser Konfliktsituationen gewahr zu werden und zu verdeutlichen, weshalb in unterschiedlichen Graden der Kooperation und Abgrenzung fallbasiert gearbeitet wird, wird eine Kohärenz auf abstrakter Ebene bemüht, die im besten Falle Augenwischerei ist und sich im schlimmsten Falle kontraproduktiv und konfliktverschärfend auswirkt. Daher wünsche ich mir mehr Mut der politischen Entscheidungsträger auf komplexe Zusammenhänge komplexe Antworten zu geben.

Image: Conrad Schetter

Conrad Schetter ist wisseschaftlicher Direktor des Bonn International Center for Conversion (BICC).

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