Ob unlängst bei der Münchner Sicherheitskonferenz, beim NATO-Treffen in Brüssel oder in unzähligen Mittagsgesprächen interessierter Beobachter: Die Gefahr, die von US-Präsident Donald Trump für die VN-Weltordnung – sprich Multilateralismus auf liberal-demokratischer Wertebasis – ausgeht, ist das dominierende Thema.
Zu Recht: Die in Trumps Biografie über Jahrzehnte zurückverfolgbare Philosophie „America first“ begegnet Multilateralismus mit Verachtung. Im Wahlkampf benutzte Trump „globalism“ als Schimpfwort. In der Handels- und Einwanderungspolitik wird die neue Linie bereits mit Leben (bzw. mit Schrecken) gefüllt. Liberal-demokratische Werte spielen in seinem ultra-konservativen, nationalistischen Weltbild eine untergeordnete Rolle. Die Islamophobie der neuen US-Administration sowie generell die Bereitschaft zur Konfrontation verheißen nichts Gutes.
Angeblich erarbeitet die US-Administration ein Dekret, das zu massiven Beitragskürzungen bei internationalen Organisationen führen könnte. Ende Februar kündigte Trump an, den Verteidigungsetat um 54 Mrd. USD aufzustocken und diese Mittel in anderen Bereichen, namentlich auch der Entwicklungshilfe, zu kürzen. Hierbei kann die Regierung auf weitgehende Unterstützung des in beiden Kammern republikanisch dominierten Kongresses zählen.
Bei den Vereinten Nationen (VN) ist die Führungsriege hochgradig alarmiert. Auch wenn Trump bislang nichts Konkretes veranlasst hat, so herrscht in New York das Gefühl einer „Ruhe vor dem Sturm“. Alle Staaten, denen an der VN-Weltordnung liegt, müssen sich für diesen Sturm wappnen und Gedanken machen, wie darauf reagiert werden kann.
Fundamentale Bedrohung für die multilaterale Zusammenarbeit
Von der Trump-Administration gehen vor diesem Hintergrund drei unmittelbare Gefahren für die multilaterale Zusammenarbeit in den VN aus:
- Massive Geldkürzungen: Die USA kommen für rund 21% der gesamten VN-Beiträge auf (im Jahr 2015 waren dies 44,6 Mrd. USD). Damit sind fast alle Bereiche und Unterorganisationen der VN stark von US-Geldern abhängig; für einige Unterorganisationen könnten Kürzungen existenzbedrohend sein.
- Politischer Rückzug: Trump wird wohl keine liberal-demokratischen Normen unterstützen, und auch die Nachhaltigkeitsagenda bestenfalls mit Desinteresse begleiten, von der Klimapolitik ganz zu schweigen. Damit wird die Verhandlungskraft der OECD-Staaten bzw. der Demokratien insgesamt geschwächt. Unter den Autokratien könnte sich Aufbruchsstimmung breitmachen.
- Politisierung und Kollateralschäden: Die USA könnten die VN bestrafen, wenn diese eine unliebsame Politik verfolgen (z. B. in den Bereichen Abtreibung, Migration), wenn Palästina die VN-Vollmitgliedschaft beantragt und bekommt, wenn die VN in Ländern tätig ist, die auf der Terror- und Sanktionsliste der USA stehen.
Schon die Bush-Administration hatte erhebliche Vorbehalte gegen die VN und machte einen Sport daraus, sich aus multilateralen Strukturen zurückzuziehen. Die America first-Philosophie schließt an die neokonservative „Bush-Doktrin“ an. Sie ist zwar weniger kriegerisch (außer in Bezug auf den islamischen Terror), kaum von amerikanischem Sendungsbewusstsein getragen, aber mindestens ebenso radikal und gefährlich in ihrem Isolationismus, dem Nullsummen-Denken und der Ablehnung jedweder globalen Verantwortung.
Wer davon spricht, dass nun Lücken gerissen werden und zu schließen sind, der hat eine zu kleine Perspektive gewählt. Richtet sich die USA als globaler Hegemon, der eigentlich integrativ wirken müsste, gegen die VN-Weltordnung, so ist dies systemgefährdend. Zwar könnten sich in der neuen US-Administration am Ende auch die gemäßigten Lager durchsetzen. Nach Stand der Dinge droht aber eine Zersetzung von über Dekaden entwickelten und kultivierten Normen und Mechanismen des kollektiven Handelns und der globalen Lastenteilung.
Auswirkungen auf Friedensmissionen
Dies betrifft alle Bereiche der VN. Peacekeeping-Missionen werden nach einem Schlüssel von allen Staaten mitfinanziert, aber die Veto-Mächte tragen wegen ihrer besonderen Verantwortung einen höheren Anteil; die USA kamen 2016 für 28,6 % auf, gefolgt von China mit 10,3 % (bei einem Gesamtbudget von 7,9 Mrd. USD). Eine Reduktion der US-Beiträge könnte die Rolle der VN in der Sicherung des Weltfriedens massiv beeinträchtigen (dafür gibt es einen Präzedenzfall: der weitgehende Rückzug der USA aus dem Peacekeeping Anfang der 1990er Jahre gilt als ein Grund, weshalb damals in Ruanda völlig unzureichend interveniert wurde – der Genozid kostete mehr als 800.000 Menschenleben). Im Entwicklungs- und Klimabereich könnte die globale Lastenverteilung kollabieren: Die USA haben dem Green Climate Fund 3 Mrd. USD zugesagt, 2 Mrd. stehen noch aus. Werden diese Mittel verweigert, steht das System der Nord-Süd-Kompensation, ein wesentlicher Pfeiler des Pariser Klimaabkommens, in Frage. Im Bereich der Menschenrechte könnte das Einknicken der USA zu einem Dammbruch und einer autokratischen Gegenwelle führen; schon länger arbeiten aufstrebende Mächte daran, den Menschenrechtsrat zu verwässern, besonders dessen scharfe Instrumente der Länderberichte und der Individualbeschwerde.
Wie kann die Resilienz der VN-Weltordnung gestärkt werden?
Die zentrale Frage lautet, wie neue politische, finanzielle und normative Ressourcen erschlossen werden können, um die Resilienz der VN-Weltordnung zu erhöhen. Folgende Punkte sind zu diskutieren:
- Stärkere Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure: Es bedarf neuer konsultativer Strukturen, die auch zur Agenda- und Normsetzung mit globaler Strahlkraft fähig sind. Das Potential liberal gesinnter Minderheiten (oder sogar Mehrheiten) in populistisch regierten Staaten ist auszuschöpfen. In Bezug auf die Wirtschaft gilt es, deren Interesse an globaler Personenfreizügigkeit, Rechtsstaatlichkeit und gesicherten Investitionsbedingungen politisch zu nutzen.
- Neue Finanzierungsquellen für die internationale Kooperation: Die Wirtschaft kann und sollte einen Beitrag zur internationalen Kooperation leisten, zumal wenn sie Mitsprache haben möchte. Aufstrebende Mächte sollten ebenfalls mehr Verantwortung übernehmen, auch viele kleinere Industrieländer können mehr tun.
- Stärkung regionaler Strukturen: Näher am Problem, weniger Akteure – vieles kann auf regionaler Ebene effektiv geleistet werden. Mittelmächte können über regionale Strukturen stärker an die globale Governance herangeführt werden. Systemisch betrachtet, dürfte ein Geflecht von hinreichend autonomen Regionen mehr Resilienz gegenüber globalen Schocks bieten als eine zentralisierte Global-Governance-Architektur.
- Eine neue globale Wissenschaftspolitik: Wissenschaft liefert ein rationales Fundament für Politik und ist eine Gegenkraft zum Populismus. Die Produktion von Wissen darf nicht im Norden konzentriert sein, denn dies bringt angesichts der mächtigen Interessen hinter der Wissenschaftsfinanzierung Schieflagen bei den Ergebnissen. Ein globaler Fond für Wissenschaftsförderung wäre ein erster Schritt.
Keine dieser Reformen ist angesichts einer globalen Welle von Nationalismus und Populismus ein Selbstläufer. Um hier voranzukommen, müssen flexible Koalitionen von like-minded states gebildet und geführt werden. Deutschland hat dabei besondere Verantwortung: Es ist viertgrößter VN-Beitragszahler nach den USA, Japan und Großbritannien und genießt international hohes Ansehen; immer wieder kamen aus Deutschland Impulse für die Gestaltung der Weltordnung. Dieses materielle, soziale und geistige Kapital verpflichtet.
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