Wider „alternative Fakten“! Evaluierung in der Entwicklungszusammenarbeit

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Förderung evidenzbasierter Debatten

Gerade auf internationaler Ebene werden gegenwärtig postfaktische Diskurse und und „alternative Fakten“ als zunehmend schwerwiegende Hindernisse für evidenzbasierte politische Entscheidungsprozesse angesehen. Diese Entwicklungen stellen auch für die Evaluierung bedeutsame Herausforderungen dar. Diese zu bewältigen gelingt nur, wenn Evaluierung ihre unterschiedlichen Funktionen fruchtbringend miteinander verschränkt.

 

Funktionen von Evaluierung

Evaluierung soll neue und nutzbare Erkenntnisse über das Wirken entwicklungspolitischer Maßnahmen generieren. Diese Erkenntnisse sollen in relevante Entscheidungsprozesse eingespeist werden, sodass das Lernen aller Beteiligten begünstigt wie auch die Rechenschaftslegung über den Einsatz öffentlicher Mittel gestärkt wird. Erkenntnisse generieren, Lernen fördern und Rechenschaftslegung stärken sind somit Kernfunktionen von Evaluierung, über die sie Entwicklungszusammenarbeit verbessern und damit mittel- und langfristig auch deren Legitimität stärken kann. Sind alle drei Funktionen gut miteinander verknüpft, kann Evaluierung als wichtiges Element gegen polarisierende und populistische Diskurse wirken.

Wissenschaftlich fundierter Erkenntnisgewinn

Folgt die Vergabe von Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) primär politischen und ökonomischen Interessen und nicht entwicklungspolitischen Kriterien? Dient Entwicklungszusammenarbeit in autoritären Regimen der Alimentierung korrupter Eliten? Ist Budgethilfe ein Allheilmittel der Entwicklungszusammenarbeit? Sind multilaterale Organisationen bilateralen Gebern überlegen? Kann Entwicklungszusammenarbeit privatwirtschaftliche Akteure zu entwicklungspolitischem Engagement bewegen?

In einem Umfeld, in dem solche Debatten über die Wirksamkeit der EZ insgesamt aber auch um die Wirkungen einzelner Ansätze, Organisationen oder Instrumente an der Tagesordnung sind, ist der Bedarf an robuster Evidenz für praxisrelevante Entscheidungsprozesse hoch. Doch evidenzbasierte Aussagen über Ursache-Wirkungszusammenhänge bedürfen gerade in der EZ eines soliden wissenschaftlichen Fundaments. Entwicklungszusammenarbeit findet oft unter den Bedingungen von hoher Unsicherheit statt, sie ist – verstärkt noch in der SDG Ära – mit einem (über)komplexen Zielsystem ausgestattet und widmet sich komplexen Sachverhalten, die durch eine ganze Reihe von Faktoren beeinflusst werden.

Unter den Bedingungen von Unsicherheit und Komplexität müssen Evaluierungen der EZ daher methodisch anspruchsvoll angelegt sein, wollen sie Aussagen über Ursache-Wirkungszusammenhänge treffen und diese auch über Kausalmechanismen erklären. Dies verlangt nach anspruchsvollen methodischen Designs und fundierten Kenntnissen über die Strukturen der EZ wie über lokale Rahmenbedingungen für Entwicklungsprozesse. Mit zunehmender Komplexität entwicklungspolitischer Interventionen und Rahmenbedingungen steigt somit auch der wissenschaftliche Anspruch an Evaluierung. Die Erkenntnisfunktion in der Evaluierung wird somit Bestandteil eines wissenschaftlichen, meist graduellen und oftmals iterativen Erkenntnisprozesses über gesellschaftliche Phänomene.

Lernprozesse stärken – Mehr als wissenschaftliche Erkenntnis

Gleichwohl ist gute Evaluierung mehr als nur die Anwendung sozialwissenschaftlicher Methoden zur Analyse von Wirkungen in der Entwicklungszusammenarbeit. Denn die primären Adressaten von Evaluierung sind eben die operativen und politischen Entscheidungsträger in den Geberstaaten sowie – noch leider zu selten – die von der Entwicklungszusammenarbeit betroffenen Akteure in Entwicklungs- und Schwellenländern. In diesem Zusammenhang sollen die Lernfunktion und die Stärkung der Rechenschaftslegung gleichsam als Transmissionsriemen wirken, welche die Erkenntnisse für praktische Entscheidungsprozesse in Wert setzen. Evaluierungsprozesse sollten daher in Interaktion mit den betroffenen Akteuren vonstattengehen, um die Akzeptanz der Erkenntnisse bei Entscheidern und auf der Ebene der operativen Implementierung zu erhöhen und bedarfsgerechte Antworten auf drängende Probleme zu geben. Insofern hängt die Nützlichkeit von Evaluierungen immer auch stark davon ab, ob es gelingt einen aufgeklärten Diskurs mit den von der Evaluierung betroffenen Stakeholdern zu gestalten.

Unabhängigkeit als Garant für relevante Lernprozesse

Dennoch darf der oben genannte Interaktionsprozess nicht zur Erosion der Unabhängigkeit von Evaluierung führen. Die Unabhängigkeit bei der Auswahl auch unangenehmer Evaluierungsfragen und die Unabhängigkeit des Erkenntnisprozesses sind zentrale Voraussetzungen, um Lernen in Evaluierungen auch auf relevante Veränderungen auszurichten. Damit muss Evaluierung immer wieder ein Spannungsfeld zwischen Distanz und Nähe zu den betroffenen Akteuren austarieren. Unabhängigkeit ist dabei unverzichtbares Element der Evaluierung, um genau jenen Prozess des Austarierens im Sinne der übergeordneten Zielsetzung zu gestalten und sich vor einer Vereinnahmung von Interessengruppen zu schützen. Darüber hinaus ist die Unabhängigkeit von Evaluierung in einem von Interessengruppen besetzten Politikfeld wie dem der Entwicklungszusammenarbeit gleichsam das Fundament von Glaubwürdigkeit.

Rechenschaftslegung und Transparenz stärken

Nur über die Unabhängigkeit von Evaluierung und idealiter über die Veröffentlichung derer Ergebnisse kann Evaluierung positive Lernprozesse in Gang setzen und eine demokratisch fundierte Rechenschaftslegung über den Einsatz öffentlicher Mittel stärken. Soll darüber hinaus die breitere Legitimität des Politikfeldes gestärkt werden, müssen zentrale Befunde, Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Evaluierungsarbeit auch jenseits einer engen, oftmals zirkulär argumentierenden Fachöffentlichkeit transportiert werden. Dieser Prozess ist anspruchsvoll und anstrengend, muss Evaluierung dann doch oftmals gegen eine verkürzte Interpretation ihrer Ergebnisse – seien sie positiv oder negativ – angehen. Will Evaluierung aber auch in der breiteren Öffentlichkeit ein Element zur Förderung aufgeklärter und evidenzbasierter Debatten über die Wirkungen der Entwicklungszusammenarbeit sein, wird sie sich dieser Aufgabe langfristig nicht entziehen können.

Image: Jörg Faust

Jörg Faust leitet das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval).

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