6-Punkte-Plan für die Gestaltungsmacht Deutschland

Foto: Zwei Zahnräder

Wie wird Deutschland eine Gestaltungsmacht in der Entwicklungspolitik?

Wirtschaftlich ein Riese, politisch ein Zwerg – dieser Ruf begleitet die Bundesrepublik seit vielen Jahrzehnten. Doch inmitten von internationalen Krisen und globalen Herausforderungen hat seine wirtschaftliche und politische Stabilität dem Land zu neuem Einfluss verholfen. Mit den richtigen Entscheidungen kann Deutschland mittelfristig eine wichtige Gestaltungsmacht der internationalen Politik werden. Es gibt dabei sechs Bereiche im multilateralen System, in denen sich ein gesteigertes deutsches Engagement auszahlen kann.

Während eines Vortrages am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) formulierte dies der Global-Governance-Forscher Andrew Cooper zur Überraschung seiner Zuhörer so: „Sie wissen ja, dass Deutschland, hinter den USA und China, der drittwichtigste Akteur internationaler Politik ist.“ Man mag dies für überzeichnet halten, auf Indien, Russland, Frankreich und Großbritannien verweisen. Aber Cooper hat in der Tendenz Recht: Deutschland ist potenziell eine Gestaltungsmacht internationaler Politik – damit sind Handlungsspielräume angesprochen, aber auch neue Verantwortlichkeiten. Cooper verwies ebenfalls darauf, dass Deutschland dieser neuen Rolle oft noch nicht gerecht werde.

Sprechen wir also über neue Handlungsspielräume und Verantwortlichkeiten in der Entwicklungspolitik. Deutschlands bilaterale Entwicklungszusammenarbeit genießt international einen guten Ruf. Doch selbst, wenn die deutschen Investitionen in globale Entwicklung verdoppelt- oder verdreifacht werden, blieben die Wirkungen immer begrenzt. Aus der Perspektive einer Gestaltungsmacht stellt sich die Frage, wie sich angesichts von Staatenzerfall und internationalem Terrorismus, Flüchtlingskrisen, Klimawandel und Grenzen des Erdsystems, zwei Milliarden Menschen am Existenzminimum, das internationale System der Entwicklungspolitik insgesamt weiterentwickeln und umgebaut werden sollte, um globale nachhaltige Entwicklung voranzubringen. Wollte Deutschland im Verlauf der kommenden Dekade zu einer entwicklungspolitischen Gestaltungsmacht werden, könnte ein 6-Punkte-Plan wie folgt aussehen.

1. Europa (die Mitgliedsländer und die Kommission) trägt über 60 % zu den globalen Investitionen in die Entwicklungskooperation bei – und läuft doch weit unter seinen Möglichkeiten. Viele Studien zeigen, dass die entwicklungspolitischen Initiativen, Investitionen und Strategien von Mitgliedsstaaten und Kommission nur selten gebündelt und gut aufeinander abgestimmt werden. Nach dem BREXIT verliert Europa zudem mit Großbritannien einen international einflussreichen entwicklungspolitischen Akteur. Deutschland als entwicklungspolitische Gestaltungsmacht könnte einen großen Anlauf starten, um Europa zum zentralen Akteur internationaler Entwicklungspolitik zu machen. Dies gilt auch, weil Deutschland seine weltweiten entwicklungspolitischen Handlungsspielräume nur dann gut nutzen kann, wenn es Teil eines starken, gemeinsam handelnden Europas ist.

2. Die mehr als 30 Entwicklungsorganisationen der Vereinten Nationen mit ihren 1432 UN-Büros in aller Welt arbeiten fragmentiert und sind nicht fit, um die universelle Entwicklungsagenda 2030 wirksam umzusetzen. Das hat kürzlich erneut eine von Klaus Töpfer geleitete Expertenkommission festgestellt und reflektierte Reformvorschläge vorgelegt. Die Vereinten Nationen zu reformieren, ist eine Herausforderung. Aber Deutschland und Europa sollten Bündnispartner für diese Herkulesaufgabe gewinnen, denn die Welt braucht angesichts multipler Krisen im internationalen System eine möglichst handlungsfähige UN. Die Situation ist günstig, denn der künftige UN-Generalsekretär António Guterres ist reformfreudig und weltweit exzellent vernetzt.

3. In den kommenden drei Dekaden finden enorme Infrastrukturinvestitionen statt – Energie, Mobilitätssysteme, allein die städtischen Infrastrukturen werden sich weltweit verdoppeln. Nur wenn diese Investitionen auf Ressourcen- und Klimaschutz ausgerichtet werden und ein Schwerpunkt auf den Zugang der unteren 40 % der Weltbevölkerung zu diesen Infrastrukturen gelegt wird, kann die Agenda 2030 umgesetzt werden. Die Weltbank und regionale Entwicklungsbanken werden in diesem Prozess eine herausragende Rolle spielen. Deutschland als eine entwicklungspolitische Gestaltungsmacht, deren Interesse es ist, zugleich eine entwicklungspolitische Gestaltungsmacht Europa voranzubringen, würde die Rolle der multilateralen Entwicklungsbanken stärken sowie intensiv an deren Neuausrichtung für den Prozess der Agenda 2030 mitarbeiten.

4. Die Schwellenländer bauen die Süd-Süd-Kooperation aus. Die BRICS-Entwicklungsbank und die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank, in 2014/15 gegründet, sind Ausdruck dieses Trends. Ohne die aufsteigenden Mächte kann keines der zentralen globalen Entwicklungsprobleme gelöst werden. Die „Global Partnership for Effective Development Cooperation“ (GPEDC), deren Ziel es war, die westliche Entwicklungspolitik und die Süd-Süd-Partnerschaften enger zu vernetzen, hat nur bescheidene Fortschritte erzielt. Deutschland und Europa sollten konkrete Agenda-2030-Partnerschaften gemeinsam mit den Schwellenländern anstoßen, um globale Problemlösungspotenziale zu mobilisieren. Europa, China und Indien könnten eine Allianz anführen, um den globalen Urbanisierungsschub nachhaltig zu gestalten. Europäische Entwicklungsbanken könnten gemeinsam mit der BRICS-Bank Initiativen zur Ernährungssicherung und Beschäftigung in Subsahara-Afrika voranbringen. OECD- und Schwellenländer könnten gemeinsam eine internationale Kommission einberufen, die Vorschläge für eine „Global Economic Governance“ erarbeitet, die es erlaubt, die Ziele der Agenda 2030 und des Pariser Klimabakommens tatsächlich umzusetzen.

5. Erfolgreiche (Entwicklungs-)Kooperation basiert auf Reziprozität und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. In der Kooperation mit schwachen Staaten oder in der humanitären Hilfe in autoritär regierten Ländern ist es schwierig, dieses Prinzip umzusetzen. Aber wo immer es geht, sollten Reziprozität und gemeinsame Verantwortung jedoch im Zentrum der Entwicklungspolitik stehen. Zwei Beispiele: Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wertet die Erfahrungen aus ihren vielen Vorhaben der Entwicklungskooperation systematisch aus und nutzt die Erkenntnisse für die Beratung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Der Vorschlag: die Arbeitseinheiten, die mit diesen Aufgaben betraut sind, sollten so stark wie möglich internationalisiert werden, um die Erfahrungen und Kenntnisse von Partnern tatsächlich zu nutzen. Gemeinsame Bestandsaufnahmen und Lernprozesse sollten im Zentrum stehen. Vorschlag 2: Das DIE entwickelt für die deutsche Entwicklungspolitik Strategien und Denkanstöße zur Ernährungssicherung, zur Dekarbonisierung von Ökonomien, zum Zusammenspiel von humanitärer Hilfe, Konfliktprävention, Demokratieförderung und Entwicklungszusammenarbeit. Auch hier sollte gelten: Das DIE muss weiter internationalisiert werden, gemeinsame Wissensproduktion mit Experten aus Entwicklungs- und Schwellenländern sollte weiter ausgebaut werden. Denn gemeinsame Wissensproduktion schafft Legitimation für gemeinsames Handeln und reduziert die Wahrnehmung im „Süden“ von den „Besserwissern aus den OECD-Think-Tanks“.

6. Globale Entwicklungszusammenarbeit geht weit über zwischenstaatliche Kooperation hinaus. Städte(Netzwerke), Wissenschaft, Kulturorganisationen, international agierende NGOs und auch Unternehmen sind unverzichtbare Akteure, ohne die eine Umsetzung der ambitionierten Ziele der Agenda 2030 sowie des Pariser Klimaabkommens nicht gelingen kann. Deutschland sollte eine Strategie transnationaler Entwicklungskooperation erarbeiten, um diese Potenziale besser nutzen zu können.

Ein solcher Sechs-Punkte-Plan ist ambitioniert. Nicht überall ließen sich schnell Fortschritte erzielen. Eine entwicklungspolitische Gestaltungsmacht Deutschland würde dicke Bretter bohren müssen.

Image. Dirk Messner

Dirk Messner ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Global Umweltveränderungen (WBGU) / Dirk Messner is Director of the German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) and Co-Chair of the Scientific Advisory Board of the Federal Government Global Environmental Change (WBGU)

2 comments

  1. Bruno Wenn - Antworten

    Alles richtig und wie immer bestens strukturiert und konsistent. Aber es fehlen zwei zentrale Akteure: die Zivilgesellschaft und die Privatwirtschaft. Ohne diese wird die Entwicklungsagenda 2030 nicht zu erreichen sein.

    • Dirk Messner - Antworten

      Danke für die Nachricht, Herr Wenn.Ich teile Ihren Hinweis. IN Punkt 6 meines „Planes“ habe ich Zivilgesellschaft und Wirtschaft angesprochen. DIeses Element zu verstärken, wäre ganz in meinem Sinne.Herzlich Dirk Messner

Leave Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert