Gemeinsam zum Ziel: Einkaufsgemeinschaften für die nachhaltige öffentliche Beschaffung
Die enorme Kaufkraft des öffentlichen Sektors, die für Deutschland rund 15% des BIP beträgt, hat auch großes Potenzial, die Nachhaltigkeitsagenda voranzutreiben. Gerade Kommunen können hier einen großen Beitrag leisten, wenn man bedenkt, dass sie für etwa 40 bis 60 Prozent des gesamten Beschaffungsvolumens verantwortlich sind. Eine wesentliche Strategie zur Nutzung dieses Potenzials stellt die gemeinsame Beschaffung dar, hat die interkommunale Zusammenarbeit in der Vergabe doch eine beachtliche Hebelwirkung für die Umgestaltung des Angebotsmarkts hin zu mehr Nachhaltigkeit. Die Bandbreite der Kooperation reicht dabei von Wissens- und Informationsaustausch über die gemeinsame oder parallele Beschaffung im Rahmen von virtuellen Einkaufsallianzen (ohne eigene Rechtspersönlichkeit) bis hin zur gemeinsamen Nutzung von zentralen Vergabestellen.
Wie kann gemeinsame Beschaffung für kommunale Nachhaltigkeitsziele genutzt werden?
Mit der Gründung und Nutzung von Einkaufsgemeinschaften (EKG) sind eine Reihe von Vorteilen verbunden, was die Effizienz, die Effektivität und die strategische Ausrichtung des öffentlichen Einkaufs angeht.
Gemeinsame Beschaffung kann insbesondere aber auch zur Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen auf kommunaler Ebene beitragen:
- Allgemein stellt die erhöhte Nachfrage für Unternehmen einen großen Anreiz dar, verstärkt nachhaltige Produkte am Markt anzubieten.
- Die durch Bedarfsbündelung und Zentralisierung erzielten Kosteneinsparungen können dazu genutzt werden, um verstärkt Produkte nachzufragen, die bestimmten ökologischen, ökonomischen oder sozialen Nachhaltigkeitskriterien genügen.
- Gemeinsame E-Kataloge erlauben die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Suche nach Produkten und Lieferanten können ihre Produkte durch Angabe von Gütezeichen leicht von anderen Produkten abgrenzen.
- Gemeinsame Beschaffung kann zudem die Kontrolle von Nachhaltigkeitskriterien effektiver gestalten. Dies ist vor allem für die Sicherstellung von Sozial- und Arbeitsstandards in globalen Lieferketten relevant: Die Ressourcenbündelung ermöglicht ein besseres Vertragsmanagement, eine intensivere Kommunikation mit den Auftragsnehmern und erleichtert die Zusammenarbeit mit externen Monitoring-Organisationen.
- Durch die zentralisierte Beschaffung und die damit einhergehende Professionalisierung ist auch die rechtskonforme Verwendung von Nachhaltigkeitskriterien sichergestellt; letzteres stellt immer wieder eine Herausforderung gerade für kleine Kommunalverwaltungen dar, wo Beschaffungsaufgaben in der Regel nicht hauptamtlich wahrgenommen werden.
- Auch in dezentral organisierten EKGs kann intensiver Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Mitgliedern in Form von Arbeitsgemeinschaften als Türöffner für nachhaltige Beschaffung fungieren.
- Gerade für den ländlichen Raum stellt interkommunale Zusammenarbeit ein interessantes Modell dar, um Kommunen zu nachhaltigem Einkauf anzuregen. Strategische Ziele wie die Einbindung von lokalen Unternehmen in Rahmenvereinbarungen oder der Einkauf von regionalen Lebensmitteln für Schulen sind so leichter umzusetzen. Durch Losvergabe können auch Klein- und Mittelunternehmen an großen Ausschreibungen teilnehmen, um so die ökonomische Nachhaltigkeit zu fördern.
Insgesamt hat gemeinsame Beschaffung daher ein großes Potenzial, die Nachhaltigkeitstransformation in Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Gleichzeitig birgt sie auch Risiken; wenn etwa Standardisierung bei heterogenen Interessen der Mitglieder die Vereinheitlichung von Produkten nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner bedeutet. Daher ist es wichtig, die Wechselwirkungen zwischen Kooperation im öffentlichen Einkauf und der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien im Auge zu behalten.
Wie soll die gemeinsame Beschaffung ablaufen und organisatorisch ausgestaltet sein?
Zielsetzung, Form und Ablauf der Zusammenarbeit (siehe Abbildung 1) bestimmen wesentlich den Erfolg der Kooperation. Der erzielte Nutzen aus der Zusammenarbeit hängt aber auch von den gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen sowie anderen sozioökonomischen Aspekten (z.B. Marktsituation, gesellschaftliche Wahrnehmung) ab.
Abbildung 1: Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der gemeinsamen öffentlichen Beschaffung. Quelle: eigene Darstellung.
Beschaffungsverantwortliche, die mit dem Gedanken einer interkommunalen Zusammenarbeit spielen, sollten sich grundsätzlich die Frage stellen, wie tief die Kooperation gehen und was damit bezweckt werden soll (siehe Abbildung 2): Eine lose Kooperation mit anderen Kommunen, welche in erster Linie auf Erfahrungsaustausch abzielt, kann Prozesskosten sparen, ohne die Produktansprüche der eigenen Nutzer zu beschneiden. Die Flexibilität kann auch bei gemeinsamen Ausschreibungen gewahrt bleiben, wenn etwa der jeweilige Bedarf der Kommunen in unterschiedliche Lose aufgeteilt wird. Will man dauerhaft die Stückkosten reduzieren, so ist es am besten, sich einer großen EKG anzuschließen oder über einen zentralen Dienstleistungsanbieter zu beschaffen, um sich durch die Aggregation der Nachfrage bessere Preiskonditionen zu sichern. Dafür muss man aber eventuell in Bezug auf die individuellen Anforderungen an das Produkt Abstriche machen, denn die Bündelung des Einkaufs erfordert oft auch die Vereinheitlichung der Produktspezifikationen. Auch die Gründung einer gemeinsamen Vergabestelle kann sinnvoll sein, vor allem, wenn man den öffentlichen Einkauf mit strategischen Zielen wie Nachhaltigkeit verknüpfen möchte. In dem Fall müssen die Anlaufkosten (v.a. Personal- und Sachkosten) mitberücksichtigt werden.
Abbildung 2: Konfigurationen gemeinsamer Beschaffung. Quelle: Počarovská (2018), S.5, eigene Darstellung.
Welche Schlüsselaspekte sollten daher bei dem Aufbau oder der Reorganisation einer Einkaufsgemeinschaft von vornherein berücksichtigt werden? Im Folgenden ein…
…Countdown zur gemeinsamen nachhaltigen Beschaffung
Hauptfaktoren für die Gestaltung einer EKG
- Zentralisierung: der Grad, zu dem Ressourcen, Kompetenzen und Prozesse innerhalb einer Organisation gebündelt sind
- Standardisierung: die Vereinheitlichung von Produkten infolge der gemeinsamen Beschaffung und/oder die Angleichung von Prozessen innerhalb der EKG
- Formalisierung: Grad, zu dem eine Einkaufsallianz das Verhalten ihrer Mitglieder mittels (formeller und informeller) Regeln und Verfahren zu beeinflussen versucht
- Spezialisierung: Arbeitsteilung in Bezug auf Beschaffungsaktivitäten in der Organisation
Die vier genannten Aspekte sind wichtige Parameter, die bei der Konzipierung von Einkaufsgemeinschaften eine Rolle spielen und auch den Handlungsspielraum für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bilden. Ein anderes Instrument, das zunehmend an Bedeutung gewinnt – nicht zuletzt auch für den nachhaltigen Einkauf –, ist die elektronische öffentliche Beschaffung.
- E-Beschaffung: Die Beschaffung von Produkten, z.B. über einen gemeinsamen E-Katalog erleichtert die nachhaltige Beschaffung, da Güter, die ökologisch und sozial verantwortlich hergestellt wurden, dementsprechend im Webshop ausgewiesen werden können. Einkaufende können dadurch ihre Produktsuche nach Nachhaltigkeitskriterien filtern. Durch E-Beschaffung kann auch die Kommunikation mit Bietern und Lieferanten vereinfacht werden.
Kooperationsmodelle
Auslagerung von Beschaffungsaufgaben auf Kreis oder andere Stadt
Diese Kooperationsform erlaubt es, dass Kommunen Beschaffungsaktivitäten auf die zentrale Vergabestelle (ZVS) des Kreises oder einer anderen Stadt auslagern, die in ihrem Namen und Auftrag tätig wird. Dadurch ergeben sich eine Reihe an Vorteilen, allen voran die Reduktion von Prozess- und Transaktionskosten, Preisersparnisse durch Bündelausschreibungen und gemeinsame Rahmenvereinbarungen sowie kompetente Beratung und Unterstützung bei eigenen Beschaffungsvorhaben durch die ZVS. Dies eignet sich vor allem für kleine Kommunen, in der Beschaffung oft dezentral stattfindet. Die Einbindung von Nachhaltigkeitskriterien in der Vergabe kann in diesem Fall durch die ZVS gefördert und umgesetzt werden; vorausgesetzt, Nachhaltigkeit wird von den Kommunen als strategisches Ziel vorgegeben und die ZVS verfügt selbst über Kompetenzen in diesem Bereich (etwa in Form eines Nachhaltigkeitsbeauftragten) oder kooperiert mit Fachabteilungen, die über entsprechendes Wissen verfügen.
Beschaffungskooperation zwischen Städten
Bei besonderen Anschaffungen wie Fahrzeugen für den öffentlichen Verkehr lohnt es sich, sich mit anderen Kommunen im Rahmen eines Projekts zu einem losen Verbund zusammenzuschließen und gemeinsam die Vergabe vorzubereiten. Die Ausschreibung kann dann, muss aber nicht gemeinsam erfolgen (in letzterem Fall handelt es sich um eine Arbeits- und keine Einkaufsgemeinschaft). Die unterschiedlichen Aufgaben werden unter den Mitgliedern der Projektgruppe entsprechend ihrer Kompetenzen aufgeteilt. Kennzeichnend ist die intensive Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und die dezentrale Koordination des Beschaffungsprozesses, was nicht zuletzt die Lerneffekte innerhalb der Allianz erhöht. Der Projektcharakter erlaubt es, auch innovative Wege in Bezug auf Nachhaltigkeit zu gehen. Als temporär angelegte EKG eignen sich Projektgruppen zudem als Testlauf für dauerhafte Kooperationen in Bezug auf die regelmäßige Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen (sogenannte Programmgruppen). Dieses Kooperationsmodell bietet sich für Kommunen an, die über die Zusammenarbeit ihre Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit bündeln und über gemeinsame oder auch parallele Ausschreibungen dementsprechende Marktsignale aussenden möchten.
Zentrale Beschaffungsdienstleister für bestimmte Produktgruppen
Eine privatrechtlich organisierte zentrale Beschaffungsstelle, die eine bestimmte Produktgruppe selbst beschafft oder im Auftrag anderer öffentlicher Auftraggeber Vergabeverfahren durchführt. Diese werden meist über Rahmenverträge abgerufen. Produktspezialisierung und Bündelung des Einkaufs ermöglichen Vorteile in Bezug auf Preis, Qualität und Lieferbedingungen; aber auch für die Nachhaltigkeit: Die starken Beziehungen zu Lieferanten und Herstellern sowie die Expertise in Bezug auf das Produkt erlauben zentralen Dienstleistungsanbietern größere Ambitionen in Bezug auf die Einbindung von Nachhaltigkeitskriterien und deren Kontrolle in der Vertragsphase. Durch den regelmäßigen Beschaffungsvorgang und die erhöhte Kaufkraft kann der Markt so nachhaltig umgestaltet werden.
Überregionale Einkaufsgemeinschaften
Die Gründung von Einkaufsgesellschaften (meist in Form einer GmbH, einer Genossenschaft oder eines Zweckverbands) etwa durch kommunale Dachverbände bzw. die überregionale Zusammenarbeit im Bereich der öffentlichen Beschaffung können ebenso soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit treiben. Webbasierte Einkaufssysteme ermöglichen eine effiziente und transparente Bestellabwicklung für die große Anzahl an Nutzern und einen entsprechend flächendeckenden nachhaltigen Einkauf. Auch hier ist das Bekenntnis der Kommunen zur Nachhaltigkeit und die entsprechenden Kompetenzen der zentralen Beschaffungsstelle bzw. der Vergabestelle zentral für die Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung durch eine Einkaufsgemeinschaft.
Handlungsebenen für Politik und Praxis
Unabhängig davon, in welcher Form Kommunen miteinander kooperieren – Nachhaltige öffentliche Beschaffung erfordert gezielte Maßnahmen in Bezug auf drei Dimensionen:
Kooperative nachhaltige Beschaffung braucht ein klares Statement von politischer Seite, in Form von Ratsbeschlüssen über die interkommunale Zusammenarbeit und der Verankerung gemeinsamer oder zentraler Beschaffung in der kommunalen Nachhaltigkeitsstrategie. Eine Gesetzgebung auf Landesebene, die die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien in der öffentlichen Beschaffung dezidiert fördert, kann ebenso dazu beitragen. Einkaufsgemeinschaften können nur dann die erwünschte Hebelwirkung erzielen, wenn nachhaltiger Einkauf mehr Gewicht auf kommunaler Ebene erhält.
Bei der Gründung von Einkaufsgemeinschaften ist es wichtig, von vornherein Nachhaltigkeit in die Strategie- und Entscheidungsplanung einzubinden, und durch Vorabstudien, Expertengremien und Pilotprojekte den potenziellen Handlungsrahmen auszuloten. Auch der Status der Beschaffungsabteilungen auf kommunaler Ebene spielt eine Rolle: Gerade in kleinen Kommunen nehmen Beschaffende vorrangig operative Aufgaben – Bedarfs- und Bestellabwicklung – wahr. Je mehr Entscheidungsbefugnisse sie jedoch haben, desto einfacher gestaltet sich Konzipierung und Koordination der EKG, gerade wenn sie dezentral organisiert ist, also über keine zentrale Einrichtung verfügt, die die Vergabe für die Mitglieder durchführt. Aber auch bei Beschaffung über einen zentralen Beschaffungsdienstleistenden haben lokale Beschaffende die Möglichkeit, das Nachhaltigkeitspotenzial der EKG voranzutreiben, indem etwa in Artikelanfragen bestimmte ökologische und soziale Nachhaltigkeitskriterien gefordert werden. Unabhängig von der Kooperationsform ist auch hinsichtlich Nachhaltigkeit Kommunikation zwischen den Mitgliedern und innerhalb der Kommunen, aber auch mit dem Markt unerlässlich. Newsletter halten die Mitglieder nicht nur up-to-date, sondern erhöhen auch das Gemeinschaftsgefühl. Für die Beständigkeit und Weiterentwicklung der EKG ist es zudem wichtig, den Erfolg der Kooperation zu messen. Elektronische Vergabesysteme erleichtern in diesem Zusammenhang die Datenerhebung auch hinsichtlich der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien.
Das Engagement einzelner politischer und administrativer Entscheidungstragenden und Beschaffender ist der wichtigste Katalysator gerade in Bezug auf soziale Verantwortung. In der Praxis zeigt sich immer wieder, wie persönlicher Einsatz und Motivation auch Einkaufsgemeinschaften in Richtung Nachhaltigkeit umgestalten. Umgekehrt ermöglicht die Zentralisierung der Beschaffungsaufgaben im Rahmen von Einkaufskooperationen auch, dass Vergabezentren eine Bildungsfunktion übernehmen und Mitarbeitende der Kommunalverwaltungen schulen bzw. Informationsveranstaltungen für die breite Öffentlichkeit anbieten. So pflanzt sich Nachhaltigkeit in die interkommunale Kooperation ein und in der Gesellschaft fort. Hierfür ist die entsprechende Fachkompetenz der Beschaffungsverantwortlichen und eine enge Zusammenarbeit mit Nachhaltigkeitsbeauftragten eine wesentliche Voraussetzung.
zentrale Tipps aus der Praxis
Start Low…: Egal, ob es um die Gründung einer EKG oder die Neuausrichtung einer bestehenden Einkaufskooperation geht, raten Beschaffende aus der Praxis, bescheiden anzufangen, z.B. mit einer kleinen gemeinsamen Ausschreibung oder einem Rahmenvertrag für wenige Mitglieder.
…Aim High: Eine klare Zielsetzung hilft nicht nur bei der Wahl der Kooperationsform, sondern auch in Bezug auf Nachhaltigkeit über viele kleine Schritte die gewünschte Flughöhe zu erreichen.
Konzept – unzählige Umsetzungsmöglichkeiten
Zusammenschauend eröffnet das Konzept der kooperativen Beschaffung ein weites Spektrum für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. Trotzdem ist es wichtig, im Blick zu halten, dass in dieser Hinsicht auch Einkaufgemeinschaften keine Selbstläufer sind, sondern eine klare strategische Ausrichtung, aktive Teilhabe der Mitglieder, eine starke Kommunikation zwischen den Kommunen und mit dem Markt erfordern sowie von der Unterstützung von Drittorganisationen (allen voran Kompetenzstellen für Nachhaltigkeit und kommunalen Servicestellen) profitieren.